Folge 2: Erinnerungslücken. Wer waren Sam, Nelly und Mill?

Shownotes

Im Gespräch mit Josephine Apraku geht es um Kunstproduktion während des deutschen Kolonialismus. Wirft man einen Blick auf Kunst und Kulturproduktion zu dieser Zeit fällt auf, dass sich vor allem die Künstler des Expressionismus wiederholt an kolonialromantisierenden Vorstellungen bedienen. Sie besuchen Völkerschauen und Völkerkundemuseen um sich dort „inspirieren“ zu lassen. Die Frage, die sich heute stellt: Wie umgehen mit diesem Erbe?

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Folge 2 Kolonialismus und Expressionismus mit Josephine Apraku

Josephine Apraku (JA): Ich sag das echt nur total ungerne (lacht) weil ich ja in dem Zusammenhang heute hier bin, aber eigentlich keine mega kunstinteressierte Person bin.

Josephine Apraku (JA): (Musik-Intro)

Jeanne Nzakizabandi (JN): Herzlich willkommen zur zweiten Folge "Telling our Stories – Erzählte Geschichte", der Podcast zur gleichnamigen digitalen Ausstellung. Im Podcast und in der Ausstellung wollen wir uns dem Thema Schwarze deutsche Geschichte mit Hinblick auf Migrationsbewegungen widmen. Es handelt sich hierbei um ein Projekt der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, kurz ISD.

Jeanne Nzakizabandi (JN): Mein Name ist Jeanne Nzakizabandi, ich bin Kuratorin und politische Referentin und in diesem Kontext Host des Podcasts, und dieser soll vor allem Schwarze Menschen beziehungsweise afrodiasporische Menschen ansprechen, und darüberhinaus natürlich alle, die sich für Schwarze deutsche Geschichte interessieren.

Jeanne Nzakizabandi (JN): Diese zweite Folge trägt die Überschrift "Kolonialismus und Expressionismus" – wir wollen uns also die Epoche des Kolonialismus anschauen und dabei aber quasi noch mal einen genaueren Blick werfen auf Kunst- und Kulturproduktion in Deutschland, die natürlich auch geprägt gewesen ist von kolonialen Diskursen.

Von besonderem Interesse in diesem Kontext sind für uns zwei Personen namens Milly und Nelly – dazu würde ich allerdings später noch ausführlicher kommen. Bevor wir uns in die Tiefe der Thematik stürzen, sag ich mal, braucht es ein bisschen historischen Kontext:

Von besonderem Interesse in diesem Kontext sind für uns zwei Personen namens Milly und Nelly – dazu würde ich allerdings später noch ausführlicher kommen. Bevor wir uns in die Tiefe der Thematik stürzen, sag ich mal, braucht es ein bisschen historischen Kontext: Wie gesagt, das Thema ist Kolonialismus – Deutschland ist seit 1884 offiziell eine Kolonialmacht gewesen, und dementsprechend zunehmend auch Teil von kolonialen Diskursen und Praxen. Das lässt sich unter anderem zeigen an Zirkussen, Völkerschauen und ethnologischen Museen, welche immer mehr entstanden und vor allem eine kolonialrassistische Propaganda verbreiteten – so kann man's sagen.

Von besonderem Interesse in diesem Kontext sind für uns zwei Personen namens Milly und Nelly – dazu würde ich allerdings später noch ausführlicher kommen. Bevor wir uns in die Tiefe der Thematik stürzen, sag ich mal, braucht es ein bisschen historischen Kontext: Und diese Orte sind vor allem Orte, an denen vermeintlich "fremde" Kulturen präsentiert und darüber hinaus inszeniert werden. Diese kolonialrassistischen Ideen, die vor allem auf Differenzkonstruktion beruhen, finden ihren Eingang auch in der Kunst- und Kulturproduktion, wie ich schon gesagt hatte, und für diesen Podcast wollen wir uns eben die Epoche des Expressionismus anschauen.

Vielleicht kurz als Bild für diejenigen, die vielleicht nicht ganz vor Augen haben, welche Epoche das ist: Expressionistische Kunst zeichnet sich – für mich zumindest – erst mal dadurch aus, dass sie eben mit besonders ausdrucksstarken Farben und Formen arbeitet.

Vielleicht kurz als Bild für diejenigen, die vielleicht nicht ganz vor Augen haben, welche Epoche das ist: Und in Deutschland zählen vor allem die Werke und auch die Künstler Emil Nolde und Ernst Ludwig Kirchner zu den bekanntesten expressionistischen Künstlern. Beide sind stark in den deutschen Kolonialismus verstrickt. Das lässt sich an unterschiedlichen Angelegenheiten zeigen, sag ich mal – zum einen besuchen sie beide regelmäßig ethnologische Museen, um dort Zeichnungen, vor allem von afrikanischen und ozeanischen Artefakten anzufertigen, und diese Skizzen sind dann häufig auch der erste Entwurf für spätere Werke.

Vielleicht kurz als Bild für diejenigen, die vielleicht nicht ganz vor Augen haben, welche Epoche das ist: Auch Zirkusse und Völkerschauen werden von beiden regelmäßig besucht, und dort treffen die beiden Künstler auf Modelle für ihre Aktzeichnungen. Und gerade in den Werken Kirchners findet man immer wieder Schwarze weiblich gelesene Körper.

Vielleicht kurz als Bild für diejenigen, die vielleicht nicht ganz vor Augen haben, welche Epoche das ist: Was man in dieser ganzen Angelegenheit jedoch nicht vergessen sollte, ist natürlich, dass diese Begegnungen zwischen den Künstlern und den Subjekten beziehungsweise Objekten aus kolonialem Kontext natürlich von einer enormen Machtasymmetrie geprägt gewesen sind.

Vielleicht kurz als Bild für diejenigen, die vielleicht nicht ganz vor Augen haben, welche Epoche das ist: Da wir den Eindruck hatten, dass diesem Aspekt bisher nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wollen wir heute in dieser Folge darüber sprechen.

Vielleicht kurz als Bild für diejenigen, die vielleicht nicht ganz vor Augen haben, welche Epoche das ist: (Musik)

Vielleicht kurz als Bild für diejenigen, die vielleicht nicht ganz vor Augen haben, welche Epoche das ist: Und dafür habe ich mir Josephine Apraku eingeladen, und ich freue mich, dass du zugesagt hast. Hallo Josephine.

JA: Hallo. Danke dir für die Einladung.

JN: Ich freue mich sehr. Magst du dich als Erstes vielleicht vorstellen?

JA: Hm-hm. Ich habe Afrikawissenschaften studiert und parallel zu meinem Studium im Grunde schon angefangen, Bildungsarbeit zu machen zum Thema "Diskriminierung", und vor allem auch natürlich mit Fokus auf Diskriminierungskritik – und in dem Zusammenhang arbeite ich mit ganz unterschiedlichen Organisationen zusammen. Das kann so was sein wie zum Beispiel Prozessbegleitung oder Organisationsentwicklung, aber es kann natürlich auch um Vorträge gehen beispielsweise oder auch Kurzworkshops. Was ich im Moment tatsächlich ziemlich viel mache, ist schreiben; ich schreibe eine Kolumne fürs "Missy Magazine" und bin grad dabei, mein drittes Buch zu schreiben, und tatsächlich ist das für mich auch ein Herzensprojekt, weil es eins ist, für das ich richtig ein Exposé habe schreiben müssen, mit allem Drum und Dran.

JN: Ich drück dir die Daumen für deine Projekte. Ich würde ganz gerne noch mal ein bisschen im Bereich "Kontext" bleiben – ich hab's vorhin gesagt: diese Folge befasst sich mit Kolonialismus und Expressionismus beziehungsweise Kunst- und Kulturproduktion.

Deswegen meine erste Frage an dich wäre: Wie schätzt du es ein, wie erleben Schwarze weiblich gelesene Subjekte in Deutschland den Kolonialismus in Bezug auf eben Kunst- und Kulturproduktion?

Und vielleicht als Anschlussfrage auch: Was glaubst du, wie sich ihre Erfahrungen von männlich gelesenen Schwarzen Menschen unterscheidet?

JA: Meintest du in der Gegenwart oder in der Vergangenheit?

JN: In der Vergangenheit.

JA: Oh, das find ich tatsächlich ziemlich schwierig. Ich sag das deshalb, dass ich's schwierig finde, weil … Vielleicht kann ich's einmal anders aufgreifen: Was ich ganz spannend finde, ist, wenn es zum Beispiel um, sagen wir, Schulprojekte geht und es geht darum, den Kolonialismus aufzuarbeiten, dann ist so eine Sache, die oft gemacht wird, dieses: sich vermeintlich Hineinversetzen in zum Beispiel zeitgenössische Personen, die eben während der Kolonialzeit gelebt haben, und aus dieser Perspektive sozusagen zu sprechen.

JA: Allerdings finde ich das insofern schwierig, als dass ich ja nur mutmaßen, also, tatsächlich vor allem mutmaßen kann, was sozusagen Kunst und Kultur und vor allem auch Produktion in dem Zusammenhang bedeutet haben könnte für Schwarze Menschen insgesamt zu der Zeit, aber natürlich auch spezifisch in dem Zusammenhang für Schwarze Frauen.

JA: Die andere Herausforderung (lacht) die ich gleichermaßen wahrnehme, ist, dass wir in diesem Zusammenhang und in Teilen natürlich auch gezwungenermaßen, weil wir eben in diesem System bestehen, den Begriff "Frau" verwenden. Und ich finde den Begriff "Frau" spezifisch auch mit Blick auf Schwarze Menschen gar nicht so einen einfachen Begriff, weil es eine Kategorie aufmacht, die sowieso eine konstruierte, sozial konstruierte Kategorie ist, aber natürlich noch mal sozusagen insofern spezifisch, als dass wir hier ja sozusagen etwas aufgreifen, was eben auch ein Teil von kolonialer Unterdrückung ausgemacht hat. Nämlich die jeweiligen Regionen sozusagen einem Prozess zu unterziehen, in dem Menschen, die sich vielleicht gar nicht unbedingt anhand von der Vorstellung von Geschlecht zum einen, aber auch anhand von der Vorstellung spezifisch von binärem Geschlecht selbst wahrgenommen haben, definiert haben und so weiter, und natürlich auch die Gesellschaft strukturiert haben, dass wir sozusagen diese Kategorie aufgreifen.

Und ich glaube, was gleichzeitig sozusagen immer auch dazugehört, ist, dass wir das im Hinterkopf behalten. Ich finde, einer der spannenden Momente in der Kunstproduktion in der Vergangenheit ist, dass wir natürlich viele weiblich, als weiblich wahrgenommene nackte Körper haben. Und wir haben hier also einen starken Bezug sozusagen auf diese Vorstellung von Natürlichkeit, auf diese Vorstellung von Freiheit, Wildheit und so weiter – und die sind natürlich bedeutsam, grade wenn wir uns das Thema der Folge anschauen, nämlich Expressionismus. Das heißt, wir haben hier – ich will gar nicht so vorgreifen, weil ich nicht genau weiß, was noch an Fragen kommt – aber wir haben hier sozsuagen eine Kunstrichtung, die ja in ihrer Zeit und in der Verhaftung ihrer Zeit eigentlich eine ist, die sich befreien möchte; die sich befreien möchte aus der eigenen Gesellschaft und sich dadurch ja auch hinwendet zu dem, was sie als, in Teilen auch als eigene Vision wahrnimmt, als etwas, wo hingestrebt werden soll. Und dabei völlig verkennt, dass sozusagen diese rassistischen Kategorien, die eben sehr stark auch an weiblichen Körpern festgemacht werden, die ja auch verbunden sind sozusagen mit der Vorstellung von zum Beispiel: "Gebären können", mit der Vorstellung von: "Eine neue Gesellschaft auch schaffen können", über diese Vorstellung von Gebärfähigkeit; aber auch über die Vorstellung von vermeintlicher Wildheit, vermeintlicher Freiheit und so weiter. All das, was also in der bürgerlichen Realität zum Beispiel in Deutschland eben so nicht stattgefunden hat, und vor allem auch natürlich nicht hat stattfinden können, weil das das Gegenstück, und zwar das rassistische Gegenstück, einer weißen Frau gewesen wäre in der damaligen Zeit.

JN: Hm-hm. Du hast jetzt ganz viele Punkte schon genannt, wo ich jetzt wahrscheinlich nur einen Bruchteil von noch mal für mich auch zusammenfassen kann. Zum einen, was ich auch ganz spannend noch mal fand aufzugreifen, ist eben dieser Expressionismus, der sich versteht als eine Gegenbewegung irgendwo ja auch. Als eine Gegenbewegung zum bis dahin dominierenden Naturalismus, der sehr regeltreu gewesen ist, oder der reglementiert gewesen ist.

JN: Und dann in diesem Ausbrechen, in diesem Freiheitsbedürfnis, nenn ich's mal, so kolonialrassistischen Logiken verfällt oder kolonialromantisierenden zumindest – das ist ein Punkt, den ich grade ganz spannend fand. Und natürlich ist es schwierig zu sprechen über das Empfinden von Personen aus einer Zeit, die jetzt wirklich eine Weile her ist; mir ging's eher so ein bisschen darum, die Rahmenbedingungen vielleicht auch zu finden. Und eine dieser Rahmenbedingungen wäre eben, zu sehen, ein regelmäßiges Konfrontiertsein mit eben solchen Vorstellungen, die man vermeintlich verkörpert.

Um vielleicht jetzt tatsächlich auch so ein bisschen auf Nelly und Milly zu sprechen zu kommen: Nelly und Milly sind zwei Modelle, die in den Werken Kirchners immer wieder auftauchen, wobei man tatsächlich leider nicht sagen kann, ob deren Namen wirklich Nelly und Milly gewesen sind, weil das auch häufig genutzte Spitznamen gewesen sind für Schwarze Subjekte zu der Zeit.

Ich würde dich gerne fragen: In welchem Kontext bist du das erste Mal auf die beiden gestoßen und wie erinnerst du dich an diese Begegnung?

JA: Also tatsächlich vor allem durch die Arbeit von Natasha Kelly, die ja jetzt grade in Bremen, in der Kunsthalle in Bremen auch noch mal ausgestellt wird, die sich genau mit – vor allem auch zumindest im Titel – mit Milly beschäftigt und mit auch der Art und Weise, wie die Körper Schwarzer Frauen – und "verwendet" ist hier vielleicht wirklich der passendste Begriff – verwendet werden und gleichzeitig sozusagen die Menschlichkeit unsichtbar wird. Zum Beispiel dadurch, dass Menschen Spitznamen bekommen, die einfach gängige Spitznamen sind für, in Anführungszeichen, "diese Art von Menschen" – das heißt, ich hab tatsächlich vor allem durch Natasha, das klingt so komisch, wenn ich einfach "Natasha" sage, aber genau, ich hab das vor allem tatsächlich durch Natasha mitbekommen – das hängt auch damit zusammen, dass ich selbst eigentlich, ich sag das echt nur total ungerne (lacht) weil ich ja in dem Zusammenhang heute hier bin, aber eigentlich keine mega kunstinteressierte Person bin. Das hängt aber nicht damit zusammen, dass ich sozusagen Kunst als eigenen Raum grundsätzlich ablehne – aber was ich tatsächlich meistens uninteressant finde, ist das, was hier unter Kunst verstanden wird, das, was gezeigt wird, wie's gerahmt wird und so weiter und so fort.

JA: Aber durch Natasha, um das ganz kurz noch mal zusammenzufassen.

JN: Mir geht's auch ähnlich – ich glaube, es sind immer eher die, ich sag mal, die Narrative, die um ein Kunstwerk herum gesponnen werden, die mich vielleicht mehr interessieren. Und in meinem Fall ist es auch Natasha Kelly gewesen – ich glaube, man kann auf jeden Fall sagen, dass Natasha Kelly eine Person ist, die da einfach sehr viel zu forscht und überhaupt auch erst mal benennt: Was sind eigentlich Fragen, die wir gar nicht beantworten können und woran liegt das vor allem?

Aber ich würd, glaub ich, trotzdem noch mal bei dem Thema bleiben und fragen: Welche Probleme zeigen sich in der Tatsache, dass so wenig über die Modelle bekannt ist? Dass wir noch nicht mal sagen können, ob die Modelle tatsächlich so heißen.

JA: Also, wenn ich an Kirchner denke, dann denke ich tatsächlich an kulturelle Aneignung oder das, was wir als kulturelle Aneignung verstehen. Und das, was Kolonialismus ja ist, aus meiner Perspektive zumindest, ist der krasseste Fall von Aneignung und Einverleibung. Ich find, der Begriff "Ausbeutung" wird dem nicht mal gerecht, ehrlich gesagt – weil "Ausbeutung" sprachlich für mich zumindest immer suggeriert, dass irgendetwas übrigbleibt, als wäre sozusagen zumindest eine Hülle am Ende da. Und ich glaube, Kolonialismus ist tatsächlich wirklich eigentlich einfach die völlige Einverleibung von etwas.

JA: Und in der Verlängerung davon sehe ich tatsächlich auch die Kunst von Kirchner, der ja, so wie du es eingangs beschrieben hast, kulturelle Artefakte in Teilen zum Beispiel abgezeichnet hat, manchmal ja auch nachgebildet hat, und diese Nachbildungen durchaus auch dann zum Beispiel in seinen Kunstwerken noch mal abgezeichnet hat, als ein Beispiel.

JA: Und tatsächlich würde ich das betrachten als eine Form von kultureller Aneignung. Und die Einverleibung, finde ich, findet ja sehr stark dadurch statt, dass zum einen sozusagen diese Momente – und hier auch Schwarze Körper, spezifisch die Körper von, in Anführungszeichen, "Milly" und "Nelly", wie auch immer diese Menschen dann tatsächlich eigentlich hießen und wer auch immer – und das, finde ich, ist ja das spannende Moment – wer auch immer diese Menschen tatsächlich waren, wir können sie heute erleben durch die Augen einer Person, die nicht in der Lage war, den eigenen Kolonialismus sozusagen, der durch die eigenen Blutbahnen lief, an sich wahrzunehmen.

Das ist sozusagen die Wahrnehmung, die wir heute haben, und daran knüpfen sich gezwungenermaßen viele Fragen. Und die Einverleibung, finde ich, ist ja genau das: das, was wir sehen, sehen wir eben natürlich durch unsere Augen, aber wir sehen sie immer auch durch die Augen von Kirchner.

Das ist sozusagen die Wahrnehmung, die wir heute haben, und daran knüpfen sich gezwungenermaßen viele Fragen. Und die Einverleibung, finde ich, ist ja genau das: Das heißt, sie werden auch unfrei dadurch, sie werden quasi gefesselt in die Bilder von Kirchner, weil wir sie so sehen, wie Kirchner sie uns hat zeigen wollen. Und ich finde, das ist sozusagen dieser spannende Moment, aus meiner Sicht – und "spannend" klingt fast schon beschönigend. Ich meine es aber nicht beschönigend, ich meine "spannend" tatsächlich für uns, weil wenn wir uns mit Schwarzer Geschichte in Deutschland befassen wollen und das auch aus einer rassismuskritischen Perspektive. Dann würde ich sagen, machen wir das ja gezwungen aus einer intersektionalen Perspektive. Dann machen wir's also aus einer, die nämlich zum Beispiel die Kategorie "Frau" kritisch hinterfragt und die hinterfragt, inwiefern sozusagen bestimmte Körper sich auf bestimmte Arten und Weisen angeeignet werden können, nämlich vermeintlich weibliche Körper. Die Aneignung sozusagen weiblicher Körper ist auch die Aneignung letztlich von fortbestehendem Leben, durch nämlich diese Vorstellung – und das ist ja nicht nur eine materielle Vorstellung, sondern das ist ja auch im übertragenen Sinne eine Vorstellung von ewigem Leben, also die Vorstellung, die an diese vermeintliche Gebärfähigkeit geknüpft ist.

JN: Ja, als du gesprochen hast über Einverleibung und Aneignung, auf jeden Fall, das Werk Kirchners ist durchzogen von Aneignungsprozessen, die auch irgendwie was Vollkommenes haben. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen komisch, aber ich werde erklären, was ich meine, und zwar: "vollkommen" in dem Sinne, als dass es einiges gibt, oder von einer Sache weiß ich's ganz bestimmt, wo Kirchners Werk für ein Original gehalten wurde, eine Plastik quasi, und es sehr lange gedauert hat herauszufinden, dass es eben kein Original ist.

JN: Das ist dann ja irgendwie so eine wirklich abgeschlossene Form von einem Aneignungsprozess, wenn man die Menschen auch noch darüberhinaus hat vergessen lassen machen können, dass es mit einer Form der Aneignung gestartet ist.

JN: (…)

Hi, hier ist Jeanne aus der Postproduktion – uns ist im Nachhinein aufgefallen, dass ich mich hier ein wenig verwirrend ausgedrückt habe. Um es noch mal klarzustellen: Im Nachlass Kirchners befand sich ein Leopardenhocker, auch Dschang genannt – dieser aus einem Stück gescnitzter Hocker wurde fälschlicherweise für ein Werk von Kirchner gehalten, sehr lange. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Möbelstück jedoch um einen Hocker aus Kamerun, der dort verschiedene kulturelle Bedeutungen hat.

Hi, hier ist Jeanne aus der Postproduktion – uns ist im Nachhinein aufgefallen, dass ich mich hier ein wenig verwirrend ausgedrückt habe. Um es noch mal klarzustellen: (...)

Hi, hier ist Jeanne aus der Postproduktion – uns ist im Nachhinein aufgefallen, dass ich mich hier ein wenig verwirrend ausgedrückt habe. Um es noch mal klarzustellen: Tatsächlich, du hast das Stichwort schon gegeben, "Blicke", dass das, was wir wahrnehmen, auch immer der Blick des Künstlers ist, in unserm Fall jetzt eben Kirchner – wird ja auch beschrieben als der "white gaze", der weiße Blick. Magst du darauf noch mal eingehen und mir sagen, wie du dieses Konzept verstehst?

JA: Also, wenn ich an den weißen Blick denke, muss ich unweigerlich an Du Bois, der von "Double Conciousness" spricht, nämlich – ich bring das ein, weil ich das so wichtig finde, weil der "white gaze", sozusagen, den "white gaze" zu reflektieren, bedeutet aus meiner Sicht dieses doppelte Bewusstsein gezwungenermaßen zu reflektieren. Und Du Bois, so wie ich es zumindest verstehe, meint damit ja, dass wir uns einerseits sozusagen – mit "wir" meine ich in dem Zusammenhang spezifisch Schwarze Menschen – dass wir uns einerseits wahrnehmen als die Menschen, die wir tatsächlich sind, als handelnde Subjekte, die Dinge tun, die alltäglich sind, die bestimmte Dinge mögen, die bestimmte Dinge vielleicht nicht mögen, und so weiter. Und gleichzeitig wir uns sozusagen aus der Perspektive von Unterdrücker*innen wahrnehmen, nämlich als sozusagen "Schwarze", ich würde fast sagen, als "Schwarze Masse" quasi, als unbewegliche Masse, als beständiges Objekt; und als beständiges auch furchteinflößendes Objekt.

JA: Und dieser weiße Blick, der wiederholt wird, ist aus meiner Sicht diese Wiederholung von Unterdrückung, diese Wiederholung von diesem unterdrückerischem Blick, der nämlich ein "Anrecht" hat auf unsere Körper und ein "Anrecht" auf unser Leben auch hat.

Und woran ich auch denken muss, ist: Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich mal einen Aufsatz gelesen hab im Rahmen meines Studiums, da ging's um Kolonialismus und es ging um Vampire – und ich fand diese Metapher total gut, weil ich's nämlich wirklich auch so wahrnehme, dieses/ oder vielleicht so rum: Ich glaube nicht, dass Menschen tatsächlich davon ausgegangen sind, dass weiße Menschen Vampire sind, so wie wir es heute im Fernsehen sehen, wenn wir irgendwelche Serien oder was weiß ich was sehen, sondern, ich finde aber die Metapher sehr gut, also nämlich wirklich sozusagen so dieses: bis aufs Letzte aussaugen.

Und woran ich auch denken muss, ist: Und ich glaube, das tut dieser Blick in Teilen eben auch; ich glaube, dass dieser Blick wirklich auch in Teilen Leben aussaugt, in Teilen Kraft entzieht und so weiter – weil dem immer wieder entgegenzutreten, dem zu widerstehen, sich auch immer wieder aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen, ist kraftzehrend. Das ist beständige Beschäftigungstherapie sozusagen.

JN: Ich muss das grade kurz sacken lassen, weil man ja einfach sehr viel Zeit damit verbringt, diesen weißen Blick für sich selber auch noch mal zu korrigieren, und das ist dann eben das, was du grade als so kräftezehrend beschrieben hast.

JA: Und vielleicht kann ich da noch kurz drauf eingehen: Genau, total. Also, diesen Blick auf sich selbst zu korrigieren und auf sich selbst einen anderen Blick einzunehmen, und gleichzeitig finde ich aber auch, nicht nur den zu korrigieren, sondern auch zu wissen, dass es ihn gibt, damit jeden Tag einen Umgang zu finden – also dieses: Wie bewege ich mich in der Welt?

JN: Hm-hm.

JA: Und wie weiß ich, dass ich wahrgenommen werde in der Welt? Von wem? Was macht das mit mir? Wo verhalte ich mich wie, mit welchem Verhalten kann ich wo durchkommen? – und so weiter. Also, es ist ja wirklich etwas, was uns begleitet im Alltag und was wirklich auch minikleine Momente begleitet in unserem Alltag.

JN: Hm-hm. Natürlich, genau. Und in Bezug auf Kunst- und Kulturproduktion fällt mir dann natürlich auch der Begriff von so "Inszenierungslogiken" ein, also: Wie wurden die Modelle von Kirchner und Nolde dargestellt? – das Bekannteste ist wahrscheinlich die "Schlafende Milly", wo Natasha Kelly dann auch fragt: "Na ja, also erst mal sagt mir an diesem Bild nichts, dass Milly tatsächlich schläft". Und: Aber warum heißt sie am Ende des Tages "Schlafende Milly"? Weil es eine Inszenierungslogik ist, die diesem weißen Blick einfach sehr stark auch entspricht.

JA: Total. Und ich finde, der Name hat ja ein bisschen auch was von "Trophäe an der Wand" – das "erlegte Tier" sozusagen. Also das Unbezähmbare, was bezähmt ist, hier in diesem Moment, in dem ich es sozusagen in den Blick nehme. Und das ist schon krass. So nehme ich's zumindest wahr. Ist natürlich ein bisschen eine Interpretationsfrage, aber in gewissem Maße nehme ich's schon auch so wahr.

JN: Doch, ist eine Interpretation, der ich auf jeden Fall folgen kann. Wenn man im Hinterkopf hat, welche Stereotype es sonst alles gibt, über Schwarze Weiblichkeit, klingt das auf jeden Fall schlüssig.

JN: Ich finde es natürlich auch wichtig, darüber nachzudenken, wo man vielleicht auch subversives Potenzial sehen kann, wenn es eben um den weißen Blick geht. Vielleicht auch im Konkreten, in dem, worüber wir grade sprechen, in Kunst- und Kulturproduktion und wie Kirchner und Nolde mit ihren Modellen umgegangen sind.

JN: Jetzt haben wir vorhin schon gesagt, das ist immer enorm kräftezehrend, diesen Blick auszukorrigieren, aber glaubst du, es gibt Momente der Subversion, die vielleicht auch nur ganz subtil funktionieren? Selbst wenn's nur ein festes Zurückschauen ist, sag ich mal – weißt du, was ich meine?

JA: Meinst du im Angesicht der Kunstwerke?

JN: Genau, also, es gibt unterschiedliche Ebenen – es gibt natürlich einmal die Ebene, wo ich dann vielleicht eher an uns denke, wenn wir in ein Museum gehen und mit solchen Bildern konfrontiert sind, aber vielleicht auch tatsächlich historisch gesprochen; wobei wir am Anfang auch schon festgestellt haben, dass es immer schwierig ist, rekonstruieren zu wollen, wie andere Leute Dinge empfunden haben.

JN: Aber ich meine beide Ebenen tatsächlich.

JA: Hm-hm. Also, eine Sache, über die ich viel nachdenke, auch weil ich viel mit Museen zusammengearbeitet hab und zusammenarbeite, ist die Frage von Widerstand. Wenn ich jetzt auf die Vergangenheit schaue und mich frage: Inwiefern haben Menschen auch, die ja als Objekte in diesen Kunstwerken in Teilen vorkommen, welche Möglichkeiten haben die gehabt, Widerstand zu leisten?

Und ich find die Frage nach Widerstand deshalb interessant, weil ich kann's festmachen an zum Beispiel den Straßenumbenennungen in Berlin, wo's ja darum ging, zum Beispiel 2016 und dann auch 2017, neue Straßennamen zu finden für Straßen, die gegenwärtig übrigens immer noch Kolonialisten ehren und auf den Straßenschildern haben. Auch da kam die Frage nach Widerstand auf, also: Was nehmen wir eigentlich als Widerstand wahr, was ist überhaupt sichtbar im Zusammenhang mit Widerstand?

Und ich find die Frage nach Widerstand deshalb interessant, weil ich kann's festmachen an zum Beispiel den Straßenumbenennungen in Berlin, wo's ja darum ging, zum Beispiel 2016 und dann auch 2017, neue Straßennamen zu finden für Straßen, die gegenwärtig übrigens immer noch Kolonialisten ehren und auf den Straßenschildern haben. Auch da kam die Frage nach Widerstand auf, also: Und was ich total spannend finde, ist, dass wir in der Regel, wenn wir über Widerstand sprechen, dann nehmen wir diejenigen wahr, die im Kontext des Widerstands vergleichsweise privilegiert sind; das heißt, wir sprechen über Leute, die viel Macht gehabt haben, die vielleicht Sprecher*innen von bestimmten Gruppen waren, und so weiter. Das sind die Leute, von denen wir, in Anführungszeichen, "mit Sicherheit" sagen können, dass sie Widerstand geleistet haben.

Und ich find die Frage nach Widerstand deshalb interessant, weil ich kann's festmachen an zum Beispiel den Straßenumbenennungen in Berlin, wo's ja darum ging, zum Beispiel 2016 und dann auch 2017, neue Straßennamen zu finden für Straßen, die gegenwärtig übrigens immer noch Kolonialisten ehren und auf den Straßenschildern haben. Auch da kam die Frage nach Widerstand auf, also: Und gleichzeitig wissen wir auch, dass Menschen, die zum Beispiel in den Kolonien auf Plantagen gearbeitet haben und so weiter, durchaus ja Möglichkeiten des Widerstands gefunden haben, ganz alltägliche Möglichkeiten des Widerstands, die vielleicht bedeutet haben, dass irgendwie Arbeit im Kleinen boykottiert wurde oder dass irgendwie – wie auch immer.

Und ich find die Frage nach Widerstand deshalb interessant, weil ich kann's festmachen an zum Beispiel den Straßenumbenennungen in Berlin, wo's ja darum ging, zum Beispiel 2016 und dann auch 2017, neue Straßennamen zu finden für Straßen, die gegenwärtig übrigens immer noch Kolonialisten ehren und auf den Straßenschildern haben. Auch da kam die Frage nach Widerstand auf, also: Was ich so spannend finde, ist, wenn wir über die Kunstwerke sprechen, ist, dass wir ja genau vor dieser Herausforderung stehen, dass wir Leute haben, die insofern prominent sind, als dass wir heute überhaupt darüber sprechen können. Dass es eben diese Schwarzen Frauen gegeben hat in den Kunstwerken, und gleichzeitig überhaupt nicht einschätzen können, welchen Widerstand sie geleistet haben könnten; wie der ausgesehen haben könnte – und so weiter. Und das sagt uns, find ich, auch etwas über ihre soziale Position in der damaligen Gesellschaft aus. Also, sie können im Kontext der Gesellschaft, in der sie sich bewegt haben – und damit meine ich wirklich auch was sehr Physisches – keine besonders hohe Position gehabt haben, weil wir wirklich keine Vorstellung davon haben, wie Widerstand hätte aussehen können.

Und ich find die Frage nach Widerstand deshalb interessant, weil ich kann's festmachen an zum Beispiel den Straßenumbenennungen in Berlin, wo's ja darum ging, zum Beispiel 2016 und dann auch 2017, neue Straßennamen zu finden für Straßen, die gegenwärtig übrigens immer noch Kolonialisten ehren und auf den Straßenschildern haben. Auch da kam die Frage nach Widerstand auf, also: Das ist sozusagen die eine Sache – und trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass es Widerstand gegeben hat. Und die Herausforderung, die ich jetzt habe, aus meiner Position, ist natürlich, dass ich total verhaftet bin im Hier und Jetzt. Dass mein Leben als Schwarze Person in Deutschland davon geprägt ist, dass ich in Deutschland aufgewachsen bin, davon geprägt ist, dass ich in Berlin aufgewachsen bin, davon geprägt ist, dass ich einen weißen Elternteil habe und so weiter – das heißt, die Art, wie ich mich bewege in der Gesellschaft, die Art, wie ich über mich selbst gelernt hab und so weiter, die Art, wie ich Widerstand leiste, hat total viel damit zu tun, wie ich mich sozusagen in der Gesellschaft bewege.

Und ich find die Frage nach Widerstand deshalb interessant, weil ich kann's festmachen an zum Beispiel den Straßenumbenennungen in Berlin, wo's ja darum ging, zum Beispiel 2016 und dann auch 2017, neue Straßennamen zu finden für Straßen, die gegenwärtig übrigens immer noch Kolonialisten ehren und auf den Straßenschildern haben. Auch da kam die Frage nach Widerstand auf, also: Und das macht's für mich schwer einzuschätzen, was also Widerstand damals bedeutet haben könnte. Weil ein anderer Aspekt, den ich noch kurz einbringen möchte, ist – und das ist was sozusagen Kleines – ist die Art und Weise, wie wir uns als Schwarze Menschen bezeichnen können. Also, auch da ist ja total viel passiert sozusagen in den letzten Jahrzehnten auch.

JN: Hm-hm.

JA: Und ich würde davon ausgehen, dass die Art und Weise vielleicht, wie Menschen in diesen Kontexten Widerstand haben leisten können, sicherlich auch ziemlich anders gewesen sind als ich es jetzt machen kann. Weil die Art und Weise zum Beispiel, also, die Tatsache, dass wir jetzt hier in einem Podcast sprechen, den Leute sich wahrscheinlich übers Internet anhören können und so weiter, macht ja voll viel damit – und das find ich eben total interessant. Ich merke richtig, wie schwierig das für mich ist, und trotzdem bin ich so fest davon überzeugt, dass es irgendeine Form von Widerstand gegeben hat, der von Menschen ausgegangen ist, der vielleicht auch nicht unbedingt immer als solcher erkannt wurde, weil Widerstandsstrategien ja zutiefst kreativ auch sind. Wie kannst du Widerstand leisten, ohne dass es sozusagen direkt negativ auf dich zurückfällt? – also, das ist (lacht) auf jeden Fall eine Frage, die ich mir heute noch stelle. Oder: Wie kann ich das machen, ohne dass ich mir damit selbst ein Bein stelle?

JN: Ohne dass man sofort gemaßregelt wird.

JA: Ja.

JN: Die Frage: Wer wird als widerständig wahrgenommen? – ist tatsächlich eine, die sich für mich so ein bisschen auch durchzieht durch diesen ganzen Podcast, oder zumindest in der Vorbereitung zu diesem Podcast. Alleine, wenn man sich so ein bisschen, ja, wenn man sich die Frage stellt: Wen möchte ich porträtieren? Diese Reihe ist ja schon so aufgebaut, dass man sich entweder Personen, Vereine, Ereignisse rausnimmt, anhand derer man irgendwie viel über die Zeit erzählen kann, die aber auch Rückbezüge zu heute herstellen können, und genau, deswegen hatte ich eingangs in meiner Frage quasi auch schon so einen kleinen Hint mit reingegeben zu: Was wird als widerständig gewertet? Es muss ja auch nicht immer die, ich sag mal: antikoloniale Aktion gewesen sein. Es gibt zum Beispiel eine Zeichnung, die Kwelle Ndumbe zeigt, eine Person, die innerhalb einer Völkerschau dargestellt wurde, Darsteller war, und die Erzählung ist, dass Kwelle Ndumbe sich irgendwann ein Opernglas aufgesetzt hat und damit quasi die Besuchenden, die zahlenden Besucher dieser Völkerschau zurück-angeschaut hat.

Das ist zum Beispiel für mich eine relativ kleine Geste, die aber einfach sehr, sehr, sehr viel spricht und vermittelt und transportiert. Das ist mir eingefallen, als du gesagt hast: "Wer wird als widerständig wahrgenommen?"

JA: Ja, voll. Voll – und genau, das sind diese Momente, die ich total spannend finde. Also, und auch aus diesem doppelten Bewusstsein heraus, also dieses: Ihr bekommt gar nicht mit, wie ihr auf uns blickt und dass wir wissen, wie ihr auf uns blickt – und das sozusagen zurückzugeben durch dieses Glas, find ich total, find ich super clever, ehrlich gesagt.

Ob die Leute, die sich das angeguckt haben, das gerafft haben – ich hab meine starken Zweifel dran. (lacht) Aber das find ich wirklich super spannend. Und das ist wirklich auch was, was mich total interessiert: Wie könnte das ausgesehen haben?

JN: Hm-hm.

JA: Und ich glaube, für uns gibt's auf jeden/ also, ich nehme das schon so wahr, dass es viel Potenzial gibt. Ich finde, auch viel unterschiedliches Potenzial. Zum Beispiel könnte es ja bedeuten, dass wir solche Ausstellungen uns gar nicht angucken – und das ist ja nichts, was total offensichtlich ist, aber ich finde, es ist was super Alltägliches, zu sagen, für mich selbst: Ich setze ein Grenze, weil … – oder was weiß ich was.

Und gleichzeitig glaube ich auch total, dass das, was Natasha macht, zum Beispiel eine Form von Widerstand ist, die vergleichsweise größer ist zum Beispiel. Und was ich für mich persönlich spannend finde, auch weil es meine Arbeit betrifft, ist die Frage danach: Wie können wir Sachen rahmen? Du meintest eingangs ja auch, dass dich stärker auch interessiert der Diskurs um Kunst und Kunstproduktion und so weiter, und das ist etwas, was mich auch interessiert. Wie können wir Sachen rahmen? Bedeutet es zum Beispiel, dass wir Dinge stärker erklären und die Kontexte, in denen Dinge entstanden sind, dass wir die stärker erklären? Ich finde, das ist eine Möglichkeit. Eine Möglichkeit kann aber auch sein – ich musste grad denken an: es gab mal diese Fotoreihe, wo so Berufe, in denen wir vor allem Schwarze Menschen und Menschen of color sehen, von weißen Menschen zum Beispiel ausgeführt worden sind; ich weiß nicht, ob du die kennst.

JN: Das ist die Chris-Buck-Fotoreihe?

JA: Genau. Gut dass du den Namen auf dem Schirm hast (lacht) – ich nämlich nicht. Genau, also als ein Beispiel. Und ich glaube, es gibt total viele Möglichkeiten auch Gegenbilder zu schaffen, sich zu positionieren zum jeweiligen Kunstwerk, das Kunstwerk zu rahmen, das Kunstwerk zu hinterfragen, das Kunstwerk zu überarbeiten, ins Gästebuch zu schreiben, wie ätzend das ist, wie die Ausstellung kreiert ist. Ich muss da zum Beispiel denken an: In der Schirn-Kunsthalle war die Basquiat-Ausstellung, und ich weiß noch, es gab ein Bild, da stand so was – ich weiß es nicht mehr genau – aber so was wie: "Er beschäftigte sich mit Rassismus" – und ich dachte mir so: Äh – habt ihr euch die Bilder mal genauer angeguckt? (lacht) Das ist jetzt nicht einfach nur so: "Ja, kam auch vor" – sondern ich würde sagen, das ist schon auch relativ zentral bei den Sachen, die er so, ja, die so in seiner Kunst verarbeitet werden.

JA: Also, und ich finde, das können wirklich total kleine Sachen sein.

JN: Ja. Ja, total. Mit Basquiat hast du tatsächlich auch so ein bisschen den nächsten Themenkomplex angepiekst – machst du meine Moderation auf jeden Fall sehr einfach – und zwar wollte ich mit dir sprechen über Schwarze Körper in weißen Kunsträumen. Ich hab das Gefühl, dass da recht viel passiert, auch was du nämlich auch vorhin gesagt hast, die Dinge quasi neu zu framen oder zu sagen: "Na ja, zu der Erzählung gehört aber auch die Erzählung". Und überhaupt auch Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Historie eben Schwarze Körperlichkeit in weißen Kunstinstitutionen hat, deswegen: ich finde auch, dass sich in dem Kontext einige auch empowernde Momente finden lassen, und gleichzeitig ist es natürlich trotzdem, für mich persönlich bleibt manchmal trotzdem auch es eine zweischneidige Geschichte. Ja, du nickst. Das heißt, ich kann mir vorstellen, du weißt auch so ein bisschen, was ich meine. Deswegen ist meine Frage: Wie bewertest du dieses Interesse, dieses gestiegene Interesse an der Thematik, die ich irgendwie versucht hab grade zu umreißen?

JA: Ich find's schwierig und ich find's herausfordernd, aber ich glaube, wenn wir Widerstand leisten wollen, ist das genau unser Job. Damit einen Umgang zu finden, dass irgendwie sich in Teilen Dinge in eine Richtung bewegen, für die ich zum Beispiel ja auch gearbeitet hab und arbeite, und gleichzeitig immer auch einen Umgang damit zu finden, dass diese Diskurse sich angeeignet werden können.

Also, wie gehe ich zum Beispiel damit um, dass Leute in der Lage sind, in Anführungszeichen, die "richtigen" Begriffe zu verwenden? – und so weiter. Wenn ich aber weiß, dass am Ende des Tages das konsequente Füllen von dieser Perspektive, die ja auch bedeuten würde: Wir müssen gucken, wie sind eigentlich wir in den Museen aufgestellt, wer erzählt diese Geschichten, wer schreibt diese Texte, wer hat feste Anstellungen? – und so weiter, also alles, was sozusagen hinter dem Vorhang ist, wenn wir in eine Ausstellung zum Beispiel gehen, ich weiß, dass das noch nicht konsequent genug bearbeitet wird oder hinterfragt wird.

Also, wie gehe ich zum Beispiel damit um, dass Leute in der Lage sind, in Anführungszeichen, die "richtigen" Begriffe zu verwenden? – und so weiter. Wenn ich aber weiß, dass am Ende des Tages das konsequente Füllen von dieser Perspektive, die ja auch bedeuten würde: Also, so einfach ist es, und gleichzeitig bin ich natürlich trotzdem froh darüber, dass es diese Lernangebote gibt – und gleichzeitig würde ich Museen auch nicht überschätzen insofern, als dass sie sich natürlich vor allem an bürgerliche Menschen, spezifisch weiße bürgerliche Menschen richten.

Das heißt, dieses Lernangebot richtet sich in der Regel an ganz bestimmte Gruppen. Und ich weiß auch, dass wenn ich zum Beispiel einen Text schreiben würde zum Thema "Kolonialismus" für ein Museum, dass ich immer wieder in die Situation kommen würde, wenn eine Person das lektoriert und sagt: "Das ist viel zu kompliziert, das können wir nicht verstehen", wo ich mir denke: Da sollen Leute mit einem Doktortitel reingehen, ich glaube, ich kann denen zumuten, dass die einmal kurz, wenn die einen Begriff nicht kennen, ihr Handy einschalten und googeln.

Machen wir für jeden Scheiß, aber in dem Zusammenhang ist das zu kompliziert. Ich glaube, es ist so ein beständiger Prozess, so ein beständiges Pendel, was sozusagen hin und her schwingt: Und ich für mich selbst nehme das schon einfach als Auftrag wahr, immer auch irgendwie wachsam zu bleiben; also, dass natürlich Momente da sind, die die Möglichkeit geben, dass der aktuelle Status Quo sich verändert, und die aber gleichzeitig auch in Teilen verhaftet sind im Status Quo und dazu beitragen, dass er Bestand hat - Also diese Gleichzeitigkeit, damit einen Umgang zu finden. So nehme ich das sehr stark wahr.

Machen wir für jeden Scheiß, aber in dem Zusammenhang ist das zu kompliziert. Ich glaube, es ist so ein beständiger Prozess, so ein beständiges Pendel, was sozusagen hin und her schwingt: Denn ich glaube, es ist kein Entweder-Oder, es ist nicht nur gut oder es ist nicht nur schlecht oder so, sondern es sind viele Sachen gleichzeitig.

JN: Ja, das entspricht auf jeden Fall meinem Gefühl von dieser Zwiespältigkeit, dass man sich natürlich – oder, was heißt "natürlich"? – ich mich freue, wenn ich eine Form von Bewegung sehe, und natürlich gleichzeitig weiß, dass noch ein sehr langer Weg zu gehen ist und man sich auch immer fragt: Wie verorte ich mich jetzt in diesem Kontext? Jetzt das Beispiel, wo du gesagt hast, wenn du jetzt einen Text für ein Museum schreiben würdest, was sind das denn für Stellen, die man hat? Meistens eher frei für ein bestimmtes Projekt, und so was. Man lernt dann aber mit der Zeit auch, wie viel Energie möchte man diesen einzelnen Projekten auch geben, und so was.

JA: Voll. Und ich persönlich finde eigentlich, dass es eine vergleichsweise luxuriöse Position ist, nicht in einem Museum angestellt zu sein, weil ich weiß: Ich würde das weder zu zweit noch alleine tragen wollen, in einem Museum.

Und dann find ich's wirklich angenehm zu wissen: Okay, ich arbeite jetzt in diesem Zusammenhang zusammen – ich kann natürlich ganz anders Grenzen setzen und so weiter. Also mir ist schon klar, dass es eine große Kritik daran gibt, dass Menschen freiberuflich sozusagen das vor allem machen, gleichzeitig weiß ich auch, ich würde nicht in einem Museum arbeiten wollen. Nicht unter den Bedingungen, wie sie aktuell herrschen. Weil: dann wäre ich die Ansprechperson für alles, was mit Diskriminierung zu tun hat. Und trotzdem würde vermutlich niemand auf mich hören. Von daher …

JN: Ja, ich glaube, da hast du ein sehr realistisches Szenario gezeichnet. Josephine, ich danke dir – wenn es nichts gibt, was dir dringend auf den Lippen brennt, dann würde ich sagen, ist das eigentlich eine sehr runde Angelegenheit gewesen; ich danke dir wirklich sehr für das Gespräch und hoffe, wir sehen uns eines Tages in real life.

JA: Ja echt, vielen Dank für die Einladung und auf dass nicht mehr alles im Internet ist. Nur die Sachen, die angenehm sind, dass die im Internet sind. (lacht)

JN: Alles klar. Dann tschau.

JA: Tschüss.

JN: Das war Telling Our Stories. Erzählte Geschichte.

JN: Ein digitales Ausstellungsprojekt der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland.

Konzept: Jeanne Nzakizabandi

Webdesign: Studio Abo

Produktion: Géneviève Lassey

Recherche: Merle Kondua

Recherche: Gefördert von der Stiftung Erinnerung Verantwortung und Zukunft

Im Rahmen von: Wie wir erinnern. Plurale Erzählungen, kollektive Geschichten,

Im Rahmen von: gemeinsame Wege.

Im Rahmen von: Mehr Infos findet ihr unter www.tellingourstories.de

Im Rahmen von: (Musik-Outro)

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