Folge 4: Bayume Mohamed Husen. Ein widerständiger Askari?

Shownotes

Im Gespräch mit Ismahan Wayah geht es um Schwarzes Leben im Nationalsozialismus. So wie Husen sehen sich zahlreiche Schwarze Menschen ab den 1930er Jahren mit dem Erstarken und letztlich der Machtergreifung der Nazis konfrontiert. Die meisten Leben in dieser Zeit zurückgezogen, Husen allerdings wählt eine andere Strategie…

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Folge 4 Mohamed Husen mit Ismahan Wayah

Ismahan Wayah (IW): Mohamed Husen macht's wirklich anders als alle anderen, indem er direkt offen auf die Behörden zugeht. Und wir haben seine Geschichten nicht, weil sich irgendjemand groß gekümmert hat, sondern weil wir Schwarze deutsche Geschichte über diese Akten in den Verwaltungen recherchieren können. Und nicht durch Tagebücher von Schwarzen Menschen zu der Zeit.

Ismahan Wayah (IW): (Musik-Intro)

Jeanne Nzakizabandi (JN): Hallo und willkommen zu "Telling our Stories – Erzählte Geschichte". Das ist die vierte Folge des Podcasts zur gleichnamigen digitalen Ausstellung, und im Podcast als auch in der Ausstellung wollen wir uns dem Thema Schwarze deutsche Geschichte mit Hinblick auf Migrationsbewegung widmen, und es handelt sich bei dem Projekt um ein Projekt der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, kurz ISD. Mein Name ist Jeanne Nzakizabandi, ich bin Kuratorin, politische Referentin und hoste diesen Podcast.

Jeanne Nzakizabandi (JN): Und an dieser Stelle möchte ich auch noch mal betonen, dass dieser Podcast vor allem Schwarze Menschen beziehungsweise afrodiasporische Menschen ansprechen will. Das heißt, wir wollen in erster Linie ihre Geschichten erzählen und ihr Erleben quasi auch noch mal nacherzählen. Nichtsdestotrotz sind natürlich alle eingeladen, sich den Podcast anzuhören beziehungsweise sich die digitale Ausstellung anzuschauen, wenn sie sich denn für Schwarze deutsche Geschichte interessieren.

Jeanne Nzakizabandi (JN): Und nachdem wir bereits über Schwarzes deutsches Erinnern im Allgemeinen gesprochen haben und dann ja eigentlich recht linear über Schwarze Lebensrealitäten erst in der Kaiserzeit und dann in der Weimarer Republik gesprochen haben, wird es in dieser Folge um eine Epoche gehen, die ganz klar einen Bruch und eine Zäsur dargestellt hat, und das in vielerlei Hinsicht. Heute wird es um den Nationalsozialismus gehen und ganz konkret um die Biografie einer Figur, die man, ja, mindestens als ambivalent beschreiben müsste, würd ich sagen.

Jeanne Nzakizabandi (JN): Denn heute geht es um Mohamed Husen – der Name ist auch schon mal gefallen, ich meine, in der ersten Folge hatte ich einmal ganz kurz schon angeteasert, dass es in dieser ganzen Reihe eben auch um Biografien von Menschen gehen wird, zu denen wir vielleicht manchmal eher Schwierigkeiten haben, uns zu positionieren oder wo es Schwierigkeiten gibt, quasi auch so irgendeine Form von Identifikationspotential vielleicht zu finden. Aber dazu auf jeden Fall später noch mal mehr.

Jeanne Nzakizabandi (JN): Jetzt würde ich ganz gerne erst mal, wie immer, ein paar, ja, historische Facts geben beziehungsweiße so einen groben Umriss über die Zeit und den Kontext, in dem wir uns in dieser Folge bewegen. In der letzten Folge hatten wir ja quasi mit dem Afrikanischen Hilfsverein zu tun, wir haben darüber gesprochen, wie Kolonialmigranten eher unfreiwillig in Deutschland gestrandet waren und sich da quasi auch so das erste Mal zusammengetan haben und organisiert haben vor allem.

Diese ersten Versuche von Organisation, Organisierung wurden ihnen erst dann unmöglich gemacht – dann ist es so: Auch wenn Schwarze Menschen im Gegensatz zu Juden und Jüdinnen, Rom*nja und Sinti*zze nicht systematisch verfolgt und ermordet wurden, galt für sie immer noch ein Berufsverbot, sie konnten ihre schulische Ausbildung meistens nicht beenden und Beziehungen zu weißen Frauen wurden als "Rassenschande" verurteilt.

Diese ersten Versuche von Organisation, Organisierung wurden ihnen erst dann unmöglich gemacht – dann ist es so: Und unter diesen Umständen blieb den meisten Schwarzen Menschen in Deutschland eigentlich als einzige Erwerbsmöglichkeit die Schauspielerei, vor allem das Schauspielen in Kolonialfilmen, und in diesen, ja, Propagandafilme sind es im Endeffekt, in diesen Propagandafilmen der Nazis spielten sie in der Regel eher Randrollen. Also, in der Regel hatten sie jetzt nicht unbedingt einen Charakter mit Namen, und noch häufiger wurden sie eigentlich als Statisten genutzt.

Diese ersten Versuche von Organisation, Organisierung wurden ihnen erst dann unmöglich gemacht – dann ist es so: Und der Zweck dieser Filme war es, kolonialrevisionistische Vorstellungen zu verbreiten. Und zu dem Verhältnis von Nationalsozialismus und Kolonialismus kommen wir wahrscheinlich später auch noch mal – es ist aber auf jeden Fall auffällig, dass grade in den 30er/40ern noch mal so ein, ja, Kolonialrevisionismus erstarkt ist, würde ich sagen.

Diese ersten Versuche von Organisation, Organisierung wurden ihnen erst dann unmöglich gemacht – dann ist es so: Was eben auch auffällt, ist – zumindest, wenn man sich Schwarze Lebensrealitäten in dieser Zeit genauer anschaut – ist, dass die Lebenswege sehr unterschiedlich sind. Auch wenn es natürlich so gewisse Marker gibt, die so Gemeinsamkeiten darstellen – wenn es zum Beispiel darum geht, dass die meisten eben ihr Geld mit Schauspielerei verdient haben, dass die meisten unter so einer sehr starken Vereinzelung gelitten haben, es sei denn, es war grade irgendwo ein Dreh; das könnte man quasi so als Gemeinsamkeiten festhalten – fällt am Ende des Tages trotzdem auf, dass ihre Biografien recht unterschiedlich sind.

Vielleicht, um noch mal so zwei Beispiele zu nennen, die das so verdeutlichen: Es gibt zum Beispiel Schwarze Deutsche, die in den Wirren des Krieges dann plötzlich auf französischer Seite gegen Deutschland gekämpft haben. So ist zum Beispiel die Biografie von James Wonja Michael. Andere zum Beispiel haben den Krieg überlebt, weil sie einfach sehr solidarische Nachbarn und Freunde hatten, die sich um sie gekümmert haben – so beschreibt es Marie Nejar in ihrer Biografie.

Vielleicht, um noch mal so zwei Beispiele zu nennen, die das so verdeutlichen: Mohamed Husen allerdings, auf den wir heute genauer blicken wollen, hat den Krieg nicht überlebt, und bevor ich eben gleich zu meiner heutigen Gästin komme, würde ich auch seine Biografie noch einmal ganz kurz anreißen.

Vielleicht, um noch mal so zwei Beispiele zu nennen, die das so verdeutlichen: Mohamed Husen ist geboren als Mahjub bin Adam Mohamed, das ist sein Geburtsname. Er wird 1904 in Tansania geboren. Tansania war damals noch deutsche Kolonie und war Teil von Deutsch-Westafrika. Und als Junge, so ungefähr im Alter von zehn Jahren, kämpft Husen im Ersten Weltkrieg als sogenannter Askari für die Deutschen, wird verwundet, landet auch in Kriegsgefangenschaft. Nach dem verlorenen Krieg sieht sich Husen eigentlich gezwungen, das Land zu verlassen, denn Deutschland hatte verloren und er hatte aber für die Deutschen gekämpft. Er geht nach Berlin, so ungefähr in den 20er Jahren, und arbeitet dort vor allem als Kellner und Sprachassistent, unterrichtet da Swahili, und er kommt aber auch nach Berlin, um beim Auswärtigen Amt den nicht bezahlten Lohn für seinen Militärdienst einzufordern; also, weder er noch sein Vater, die beide gekämpft hatten, wurden entlohnt, und mit dieser Klage kommt er quasi nach Berlin zum Auswärtigen Amt.

Vielleicht, um noch mal so zwei Beispiele zu nennen, die das so verdeutlichen: Er erhält seinen Lohn nicht, entscheidet sich aber trotzdem, in Berlin zu bleiben, und gründet auch eine Familie. Und generell, wenn man Husens Biografie liest, fällt eben auf, dass er keine Person ist, die juristische Auseinandersetzungen scheut, würde ich mal sagen. Also, Husen nimmt immer wieder Kontakt auf zu den Behörden, und das zum Beispiel auch, als er 1933 seinen Ausweis abgeben muss und stattdessen einen Fremdenpass erhält.

Also, vielleicht noch mal als kurzer Reminder: Mit einem Fremdenpass ist man quasi staatenlos. Genau, das heißt, ich würde mal davon ausgehen, Husen ist sich seiner prekären Situation mehr als bewusst, und in dieser Zeit, in der Schwarze Menschen quasi in so einem Spannungsfeld stehen zwischen Unsichtbarkeit und Hypersichtbarkeit versucht Husen eben ganz bewusst auch, das Bild des "treuen Askaris" zu nutzen und daran anzuknüpfen.

Also, vielleicht noch mal als kurzer Reminder: Der "treue Askari" – ich würd es als so einen Trope beschreiben, das eben sich an so kolonialrevisionistischen, kolonialromantisierenden Vorstellungen orientiert; es geht darum, dass Askaris eben treu ergebene Kolonialsoldaten sind, die nicht von Deutschlands Seite weichen, und dieses Narrativ nutzt Husen eben ganz bewusst und regelmäßíg, wenn er sich, ja, an das Auswärtige Amt wendet mit Klagen über, am Ende des Tages, diskriminierende Gesetzgebungen.

Also, vielleicht noch mal als kurzer Reminder: Gleichzeitig engagiert er sich auch in deutschen kolonialrevisionistischen Vereinen – ich hatte es ja grade schon gesagt, es gab quasi noch mal so ein Erstarken von solchen Bewegungen – er bittet auch um die Verleihung des Ehrenkreuzes Frontkämpfer, was er allerdings nicht bekommt. Stattdessen geht er dann selber in einen Militaria-Laden und holt sich dort diesen Orden und trägt den auch recht häufig; also, es gibt viele Fotografien, auf denen man Husen eben mit diesem Ehrenkreuz, mit diesem Orden sehen kann, den er sich am Ende des Tages aber selber gekauft hat und nie verliehen bekommen hat.

Also, vielleicht noch mal als kurzer Reminder: Und was dann aber noch so on top kommt oder was dann vielleicht so diesen Twist in seiner Biografie ausmacht, ist eben, dass er ja auch in Kolonialfilmen mitspielt und dass in diesen Kolonialfilmen ja auch Bilder von Schwarzen Menschen gezeichnet werden, denen Husen mit Sicherheit nicht zugestimmt hätte – das heißt, das ist so eine sehr ambivalente Figur, würde ich am Ende des Tages sagen.

Also, vielleicht noch mal als kurzer Reminder: Letzten Endes wird Husen denunziert, er beginnt eine Affäre mit einer weißen Frau, wird von einem, ja, Arbeitskollegen quasi denunziert für diese Affäre, wird 1941 wegen "Rassenschande" verurteilt, kommt dann erst in Schutzhaft und wird später ins KZ Sachsenhausen deportiert, wo er dann im Winter 1944 stirbt.

Also, vielleicht noch mal als kurzer Reminder: Das war jetzt vielleicht in aller Kürze die wichtigsten Eckpunkte der Biografie von Mohamed Husen, über den wir heute sprechen wollen.

Also, vielleicht noch mal als kurzer Reminder: (Musik)

JN: Für mein heutiges Gespräch habe ich mir Ismahan Wayah eingeladen. Ich freue mich sehr, dass du zugesagt hast. Hallo Ismahan.

IW: Hallo. Danke für die Einladung.

JN: Gerne. Magst du dich als Erstes vielleicht vorstellen?

IW: Genau, also, ich heiße Ismahan Wayah und ich arbeite am Historischen Museum Frankfurt als Kuratorin zu den Themen Diversität und Migration, promoviere nebenher in Englischer Literaturwissenschaft an der Universität Münster und, ja, beschäftige mich schon lange mit Themen wie Schwarze Geschichte, postkolonialen Themen, und ich freue mich, heute dabei zu sein.

JN: Okay. Ich würd sagen, wir starten direkt und schauen uns vielleicht noch mal gemeinsam so Lebenssituationen Schwarzer Menschen im NS an – ich hab ja grade schon versucht, so die gröbsten Eckdaten zu nennen, aber wenn du über Lebenssituationen von Schwarzen Menschen im NS nachdenkst und diese beschreiben möchtest, welche Aspekte wären dann für dich quasi diejenigen, die dann eine zentrale Rolle haben?

IW: Also, ich glaub, so zentral ist, dass alle Schwarzen Menschen im NS Entrechtung erlebt haben, also dass denen Rechte entzogen wurden, dass sie sich weniger bewegen konnten, dass sie selber viele Entscheidungen gar nicht mehr treffen durften und dass für viele Schwarze Menschen dann die Strategie war, so wenig aufzufallen wie möglich; um Verfolgung aus dem Weg zu gehen.

IW: Ich glaube, auch grad für Schwarze Menschen ist das Thema – vielleicht kommen wir dazu noch mal – Zwangssterilisation ein wichtiges Thema, mit dem sie immer wieder konfrontiert wurden, auseinandersetzen mussten; die Angst, dass sie ohne ihr Wissen oder ihrer Einwilligung sterilisiert werden. Genau, und Schwarze Menschen haben aber nicht Verfolgung in der ähnlichen Art und Weise erlebt wie jüdische Menschen oder Roma und Sinti; sie wurden nicht direkt verfolgt, um getötet zu werden, aber sie hatten trotzdem ein sehr schwieriges Leben unter dieser Unterdrückung.

Ich find, Theodor Wonja Michael sagt das ganz schön in einem Satz, indem er sagt: "Man tötete uns nicht, ließ uns aber auch nicht leben" – und ich glaub, das fasst das ganz gut zusammen.

JN: Hm-hm, stimmt, das ist auf jeden Fall auch ein Punkt, auf den wir später noch mal zu sprechen kommen, also wenn's so um diesen sehr, ja, ambivalenten Umgang mit Schwarzen Menschen im NS, wenn wir da noch mal drüber sprechen – weil der NS ja einfach in jeder Hinsicht reglementiert gewesen ist, und da fällt dann eben auf: für den Umgang mit Schwarzen Menschen gab es so eine strikte Reglementierung eben nicht. Genau.

Und dann ist es ja – manchmal bin ich ein bisschen am Überlegen: wie beschreibt man das am besten? – Ich hatte es zum Beispiel/ in meiner Anmoderation hab ich grade gesagt, dass das Erstarken der Nationalsozialisten und im Endeffekt auch die Machtergreifung, dass das so einen Bruch dargestellt hat. Man könnte es aber auch anders framen und sagen: Es ist im Endeffekt quasi der Höhepunkt gewesen von dem, was sich vorher schon die ganze Zeit angebahnt hat, sag ich mal. Also, es zieht sich ja durch vom Kaiserreich über Weimarer Republik, dass die Lebenssituation eigentlich sich nie wirklich verbessert hat – vielleicht mit ein bisschen mehr Bewegungsfreiheiten, wie man's dann eben auch sieht bei so einer Organisation wie dem Afrikanischen Hilfsverein, aber gut ist es nie gewesen.

Und dann ist es ja – manchmal bin ich ein bisschen am Überlegen: Deswegen wäre meine nächste Frage – kannst du dir überlegen, wie du die beantworten möchtest – aber was würdest du sagen, wo genau lassen sich denn vielleicht doch Brüche feststellen und wo lassen sich Kontinuitäten feststellen im Vergleich zu den vorherigen Epochen?

IW: Ich glaub, dass dieser übergeordnete Zeitraum, den wir uns hier anschauen, das 19. sowie das 20. Jahrhundert, und zwar Ende des/ also, mit Mitte des 19. Jahrhunderts haben wir den Beginn eines Erstarken auch von Kolonialismus und Imperialismus – und das führt weiter dann, Anfang des 20. Jahrhunderts, zu einer Verschärfung von sozialdarwinistischen Vorstellungen und von rassistischen Vorstellungen als "wahre" Wissenschaft.

IW: Also, es wird verankert, dass es wissenschaftlich erwiesen wäre, dass es Rassen gibt, dass von diesen Rassenvorstellungen Schwarze Menschen die unterste Rasse irgendwie darstellen, und dass es Sinn macht, diese Menschen zu kolonisieren, weil ihnen damit die Möglichkeit von Zivilisation und Entwicklung gegeben wird; also, das sind diese übergeordneten Themen und Vorstellungen, die einfach am Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts von vielen Menschen geteilt wurden. Das wäre die Kontinuität.

IW: Das erklärt, warum viele Menschen aus dem afrikanischen Kontinent, aber auch aus dem asiatischen Kontinent nach Deutschland, nach Europa kamen, um ausgestellt zu werden; und was speziell ist und was dann der Bruch ist, ist, dass eben Deutschland mit dem Naziregime diese Vorstellungen einfach so stark vertreten wird, dass das die dominante Ideologie ist. Also, das Ziel ist, im Nationalsozialismus, dass die "arische Rasse" überleben sollte und die "arische Rasse" alle anderen Gruppen beherrschen sollte. Und das hat für alle Menschen, die da nicht drunter fallen, bedeutet, dass sie sich dem unterordnen müssen. Und Schwarze Menschen sind eine Gruppe von vielen.

Das heißt eigentlich, wenn wir uns so die verschiedenen Biografien anschauen, ist, dass wir schon sehen können: Schwarzen Menschen ging es in der Zeit der Weimarer Republik auch nicht gut; also, sie haben viel auch Schwierigkeiten gehabt, eine Arbeit zu finden, sie haben viele Erfahrungen mit Rassismus auf der Arbeit gemacht, ihnen wurden viele Stellen nicht angeboten, obwohl sie manchmal auch an einigen Stellen gebildet waren, die Aufgaben auch machen konnten, und ihre Beziehungen, die sie eingegangen sind mit weißen deutschen Frauen, wurden in der Gesellschaft nicht anerkannt. Es war möglich, sie durften heiraten, aber sie erlitten trotzdem viel gesellschaftliche Ächtung einfach dafür. Und deren Kindern ging es schwer damit.

Das heißt eigentlich, wenn wir uns so die verschiedenen Biografien anschauen, ist, dass wir schon sehen können: Und im Nationalsozialismus, was halt der Bruch ist, dass ihnen Rechte entnommen wurden, weggenommen worden sind, wie zum Beispiel, dass sie einen sogenannten Fremdenpass bekommen haben; dass die Ehe mit weißen deutschen Frauen kriminalisiert wurde; dass sie keine Schulabschlüsse machen durften, das hast du auch schon gesagt – und ich glaub, das heißt, es geht wirklich um eine Verschärfung von dem, wie sie tatsächlich leben dürfen; und Verengung.

JN: Genau, das heißt, dass das, was ohnehin vorher auch schon schwierig gewesen ist, wurde quasi durch Gesetze jetzt auch noch mal festgeschrieben, verstetigt und so weiter.

IW: Genau.

JN: Ja. Also, das fällt zum Beispiel jetzt auch bei Mohamed Husen auf, dass er tatsächlich kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten noch geheiratet hat – genau, also das ist Schwarzen Menschen natürlich auch einfach schon sehr bewusst gewesen, was da auf sie zukommt, und er hat vielleicht gedacht, dass er als verheiratete Person mit einer weißen Frau/ dass das vielleicht noch so seinen Handlungsspielraum ein bisschen weitet.

JN: Im Endeffekt ist es tatsächlich so gewesen, dass beide einen Fremdenpass bekommen haben, also sowohl er als auch seine Frau.

JN: Genau, ich hab mir recht bewusst die Biografie von Mohamed Husen rausgesucht, weil es ja in diesem Projekt insgesamt darum geht, Schwarze deutsche Geschichte zu erzählen, und ich erkenne schon hier und da auch die Tendenzen – also, in andern Projekten – ja, sich die Geschichten rauszusuchen von Personen oder Erlebnissen, die man sich gerne erzählt, wo es Identifikationspotential gibt und solche Sachen; das wird der Sache vielleicht aber nicht ganz gerecht, beziehungsweise man klammert dann ja schon auch einiges aus, und ich würde sagen, Mohamed Husen ist eben eine solche Person, dessen Biografie ja schon so oder so gelesen werden kann. Also, da fällt zum einen auf, dass sich eben diese – ich hab's vorhin "Narrativ, Trope, Bild" genannt vom "treuen Askari" – dass das ja tatsächlich die Art und Weise ist, wie seine Biografie lange rezipiert wurde. Also, sie wurde lange so rezipiert als eine Person, die den Deutschen so treu ergeben gewesen ist, dass sie ihnen tatsächlich ja auch in den Zweiten Weltkrieg auch gefolgt wäre.

Also, das ist die eine Sache, das ist so die eine Rezeptionsweise – und die andere ist: Na ja, das ist eine Person, die einfach sieht, wie beengt der Handlungsraum ist und das kleine Bisschen, was noch da ist, das nutzt er.

Aber am Ende gibt's vielleicht auch noch eine dritte Perspektive, oder: auf jeden Fall, mit Sicherheit gibt's noch weitere Perspektiven, deswegen ist meine Frage: Wie liest du die Biografie von Mohamed Husen?

IW: Also, ich finde ihn auch eine sehr spannende Persönlichkeit – was echt interessant an ihm ist: dass er viele Konflikte einfach so mitbringt; und es schwierig ist, von meiner Perspektive verstehen, warum ein Mensch, der selbst unter Kolonialherrschaft aufgewachsen ist, diese weiterhin haben möchte und dafür einsteht und dann extra dafür nach Deutschland reist et cetera et cetera – und ich glaube, dass es das schwierig macht, aber gleichzeitig sehen wir ja auch, dass er eigentlich mit seiner Art und Weise immer wieder auch gegen die deutschen Behörden und gegen/ also, die herausfordert – und das ist irgendwie so spannend. Das eine zu/ auf der einen Seite irgendwie dieser "treue Askari", die Loyalität zu Deutschland eben verkörpert, und auf der anderen Seite aber auch sein Unbehagen, seine Schwierigkeiten mit Deutschland.

Und halt auch die Episode, die du auch vorhin genannt hast, dass er sagt: "Es ist mein gutes Recht, ein Ehrenkreuz für Frontkämpfer zu tragen" – und hat dann diesen Antrag gestellt, also auch sehr typisch deutsch, Antrag stellen und es erhalten; dann hat er einen Antrag gestellt, weil er ja Frontkämpfer war im Ersten Weltkrieg, und als ihm das dann versagt wird, dann sagt er: "Hm, ich geh's mir dann einfach mal kaufen und trage es trotzdem" – also dieses: Ich mache das so, wie ihr möchtet, auf eurem Weg, und dann aber, wenn ich's nicht bekomme, dann versuche ich, für mich selber einen Weg zu finden, mir das zu holen, was ich möchte. Dann zeig ich mich trotzdem mit diesem Ehrenkreuz.

Und: Nicht dass ich ein Ehrenkreuz gutheiße, aber trotzdem, irgendwie, wie er einfach damit umgeht, find ich sehr interessant.

JN: Genau, also grade auch zu dem Ehrenkreuz kann man ja auch sagen, also, die meisten Fotografien, die von ihm eben noch existieren, sind welche, wo er dieses Ehrenkreuz trägt. Also, er setzt das ganz bewusst sein – genau, ich finde, das ist eigentlich ein ganz guter Punkt; dass er eben auch das Auswärtige Amt auch noch mal konfrontiert mit, ja, vielleicht so Widersprüchlichkeiten, in denen sich das Auswärtige Amt dann ja auch bewegt.

JN: Und was man vielleicht auch, also, was mir dann irgendwann auch gedämmert ist, ist, dass als Askari, der auf deutscher Seite gekämpft hat in einem Krieg, den Deutschland verloren hat, ist Tansania vielleicht auch ein bisschen verbrannte Erde für ihn.

JN: Also, das sieht man ja auch in andern Biografien, dass ehemalige deutsche Kolonialsoldaten dann jetzt nicht unbedingt mit offenen Händen von französischen oder britischen Kolonialsoldaten empfangen wurden, sondern dass es da eher schwierig gewesen ist.

Und dann kommt ja auch noch hinzu, dass Husen auch auf jeden Fall sehr bewusst sein muss, dass wenn es etwas oder jemanden gibt, der seine Situation verbessern kann, dann ist es das Auswärtige Amt. Weil das Auswärtige Amt ist ja schon die Behörde, die noch so am ehesten versucht, Schwarze Menschen zu unterstützen – es gibt quasi so Listen, auf die man aufgeschrieben wurde, und dann hat man dann quasi so einen Ausweis bekommen, dass man auch angestellt werden darf, also dann hieß es: "Das ist ein ehemaliger Kolonialsoldat, der soll noch mal anders behandelt werden als andere Schwarze Menschen" – das spielt auf jeden Fall alles mit rein in dieses Kalkül, was Husen da anwendet.

IW: Ich denke auch, dass er halt versucht, einfach verschiedene Strategien zu fahren. Ich mein', klar wissen wir nicht genau, was er gedacht hat, wie er/ ja, was sein Selbstverständnis einfach von ihm war – aber das, was wir haben an Informationen von ihm, scheint zu sein, dass er sich ganz bewusst ist, in was er da hineingeht und sich versucht, da drin einen Handlungsraum zu eröffnen.

Zum Beispiel hattest du auch erwähnt, dass Schwarze Menschen vor allem auch rekrutiert wurden, an den NS-Propagandafilmen mitzuspielen, und dass er da nicht nur an einem mitgespielt hat – das war wirklich auch eine Einkommensquelle – dass er nicht nur an einem mitgespielt, sondern so insgesamt an 23 verschiedenen NS-Propagandafilmen, also das ist spannend, dass er denkt: Ah ja, okay, da kann ich für mich ein Einkommen machen; dann mach ich da halt überall mit – so.

Zum Beispiel hattest du auch erwähnt, dass Schwarze Menschen vor allem auch rekrutiert wurden, an den NS-Propagandafilmen mitzuspielen, und dass er da nicht nur an einem mitgespielt hat – das war wirklich auch eine Einkommensquelle – dass er nicht nur an einem mitgespielt, sondern so insgesamt an 23 verschiedenen NS-Propagandafilmen, also das ist spannend, dass er denkt: Und, genau, und dann auch irgendwie pragmatisch denkt. Vielleicht muss er das auch – zu dieser Zeit ist er verheiratet und er hat drei Kinder, also es ist halt auch so, er hat auch eine Verantwortung für andere Menschen, und vielleicht war das für ihn auch eine Möglichkeit zu überleben.

JN: Ja. Also, ich glaube, so das, womit ich zumindest dann am meisten hadere, ist natürlich, dass er dann mit Beginn des Zweiten Weltkriegs auch um die Aufnahme in die Wehrmacht bittet. Also, da kann man sich natürlich schon fragen: War das nötig? Was genau hat er sich davon erhofft? War das wieder so ein Performen von: "Ich bin euch ergeben"? – und ich würde schon sagen, dass das dann auch mit das ist, weshalb er so eine streitbare Figur ist.

JN: Was, würdest du sagen, was können wir am Ende des Tages trotzdem von solchen Biografien lernen, die eben so relativ – also, für mich persönlich – vielleicht eher weniger Identifikationspotential mitbringen?

IW: Also, ich find auch die Identifikation mit ihm schwierig – dennoch denke ich, dass er irgendwie auf eine spannende Art und Weise zeigt, welche Widersprüchlichkeiten auch in Personen, Menschen einfach stecken können, auch wenn sie selber von Unterdrückung und Verfolgung betroffen sind; und dass es dann trotzdem Menschen gibt, die dann so in dem Ding versuchen, sich das teilweise schönzureden oder teilweise versuchen, das anzuerkennen, um in diesem rassistischen System auch leben zu können.

IW: Und ich glaube, was ich spannend und interessant einfach finde – nicht irgendwie für eine Identifikation, aber einfach nur für so deutsche Geschichte, also deutsche Schwarze Geschichte – ist wirklich, auch die Widersprüchlichkeiten von Menschen zu zeigen. Wir haben nicht alle immer die gleiche Meinung oder wir verfolgen auch nicht die gleichen politischen Ziele, und dass es einfach eine Bandbreite an Meinungen und Positionen auch innerhalb, ja, Schwarzer diasporischer Menschen gibt; und ich glaube, das zeigt er, auch auf eine Art und Weise, die schwierig ist, aber er macht das/ aber das ist das, was wir haben. Und ich glaube, das Interessante ist auch – so wie ich das herausgefunden hab – ist das auch einer der ersten Stolpersteine von Schwarzen NS-Opfern in Deutschland.

IW: Und es ist halt interessant, dass einer der ersten Stolpersteine, die gelegt wurden, um auf die Geschichte von Schwarzen Menschen im NS aufmerksam zu machen, die von Mohamed Husen ist. Weil er auch Teil des deutschen Geschichtsnarrativs irgendwie ist, also, er ist präsenter als Theodor Wonja Michael oder Fasia Jansen, et cetera, weil diese Idee von den "treuen Askaris", die auch im NS umgekommen sind, weiterhin irgendwie besteht. Also, ich finde das irgendwie interessant.

JN: Das stimmt. Um daran direkt anzuknüpfen: also, dass Mohamed Husens Biografie so bekannt ist und dass er quasi auch mit einen der ersten Stolpersteine bekommen hat, das liegt ja auch daran, dass er einfach sehr gut recherchiert ist.

IW: Genau.

JN: Und das, obwohl er jetzt selber nicht unbedingt eine Biografie verfasst hat oder so, wie es eben bei Marie Nejar war oder Theodor Wonja Michael. Und ich glaube, dass das wiederum auch viel damit zu tun hat, dass er einfach regelmäßigen Kontakt mit dem Auswärtigen Amt hatte, das heißt, seine Briefe, seine Einsendungen sind dann dort auch einfach archiviert gewesen, und daraus lässt sich dann einfach auch sehr viel lesen.

Und ich könnte mir vorstellen, dass andere Schwarze Menschen genau die Strategie eben nicht gefahren sind, sich genau für das Gegenteil entschieden haben und eher für so ein: "Ich versuch das hier einfach zu überleben, ich duck mich, ich eck nirgendswo an und hoffe einfach, dass bessere Zeiten kommen" – ist er irgendwie so relativ offensiv unterwegs und will eigentlich sogar, dass das Auswärtige Amt ihn auf dem Schirm hat, will, dass jemand weiß, wer er ist, damit er vielleicht in dieser sehr prekären Situation vielleicht doch hier oder da sich dann doch noch vielleicht so das ein oder andere Privileg erhoffen kann.

Das dazu. Und ich hatte letztens auch noch mal mit einer Kollegin über seine Biografie gesprochen, und da ist dann irgendwie auch relativ so der Begriff "Unsolidarisch" gefallen, und ohne jetzt irgendwie in so philosophische Höhen abdriften zu müssen oder zu wollen, hab ich dann auch gedacht: Na ja, also diese Biografie zeigt einem halt auch, dass man sich Solidarität vielleicht erst mal leisten muss.

IW: Hm-hm.

JN: Natürlich kann man Mohamed Husen als unsolidarisch bezeichnen, und vor allem, was diese Bitte um die Aufnahme in die Wehrmacht angeht, weil da muss man sich wirklich fragen: Was war der Zweck? – wir wissen's nicht, aber dass Husen jetzt keine Person gewesen ist, die geguckt hat: Wie geht's anderen Schwarzen Menschen in Deutschland? – aber das ist ja auch niemand gewesen, also beziehungsweise ist mir jetzt noch keine Biografie untergekommen, wo ich gesehen hab, dass da irgendeine Form von Fürsorge eine besondere Rolle gespielt hätte.

IW: Ja, total. Also, ich glaub – das hast du auch vorhin gesagt – also, das Problem ist ja diese Vereinzelung. Es gab aber trotzdem in einigen Städten wie Berlin und Hamburg auch eine Schwarze Community, also Theodor Wonja Michael bezeichnet ja sie als die "Landsleute" – die sind schon noch präsent gewesen, ich glaub, es gab auch Unterstützung; nur, glaub ich, ist diese gegenseitige Unterstützung noch schwieriger geworden, als das NS-Regime angefangen hat, weil das einfach noch mal viel mehr Menschen unterdrückt hat und auch Reisen schwierig gemacht hat oder in Kontakt sein schwierig gemacht hat – und ich glaube, ja, ich denke schon, dass dann die Frage ist: Wie – ich weiß nicht, muss echt noch mal recherchiert werden, inwieweit es wirklich doch noch vielleicht Solidaritätsgesten innerhalb von den sogenannten "Landesleuten" gibt.

Ich hatte eigentlich noch einen Punkt – genau, das mit der Wehrmacht; klar, am Ende können wir tatsächlich nur spekulieren, warum er das gemacht hat. Aber ich glaub, was du halt vorhin auch ziemlich gut immer hervorgehoben hast, war wirklich auch immer der Punkt: Mohamed Husen macht's wirklich anders als alle anderen, indem er direkt offensiv auf die Behörden zugeht. Und wir haben seine Geschichten nicht, weil sich irgendjemand groß gekümmert hat, sondern weil wir Schwarze deutsche Geschichte über diese Akten in den Verwaltungen recherchieren können. Und nicht durch Tagebücher von Schwarzen Menschen zu der Zeit – sondern meistens sind es ja dann Biografien von Schwarzen Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben wurden; aber in dem Fall ist, dass wir halt so wenig Zeitzeugendokumente haben, außer Verwaltungsakten. Und deshalb ist es so interessant auch zu sehen, dass Mohamed Husen genau diesen Weg wählt.

Und er ist auch nicht der Einzige, es gibt ein paar wenige, die das auch machen, unter anderem Kwassi Bruce, der dann auch diese "Deutsche Afrika-Schau" mit geleitet hat, mit einer anderen Person, und das ist halt spannend, weil diese "Deutsche Afrika-Schau" ist eigentlich nichts anderes als eine Völkerschau, aber die muss er sich 1935 erst genehmigen lassen und muss dann wieder die Verwaltungen anschreiben, die Behörden, und sagen: "Darf ich hier diese Völkerschau zu Afrika machen?", und lädt dazu viele verschiedene Menschen ein, und Mohamed Husen ist auch mit dabei.

Ziel dieser "Deutschen Afrika-Schau" ist wirklich Kolonialpropaganda, also das ist Kolonialrevisionismus, zu zeigen: "Hier sind die treuen Askaris, die wollen, dass wir wieder ein deutsches Kolonialreich in Afrika haben" – und wir sehen da halt auch, ähnlich wie bei den NS-Propagandas, dass das auch eine andere Möglichkeit ist für einige Schwarze Menschen, Völkerschauen halt wieder zu machen und darüber, über ihre Performances dort ein bestimmtes Einkommen zu haben.

Also, wir sehen halt tatsächlich, dass unterschiedliche Menschen versuchen, über diesen Verwaltungsweg weiter zu kommen, während andere sagen: Was ich mache, meine Strategie ist, ducken so gut wie möglich, damit ich bloß nicht auffalle.

JN: Ja, das find ich auch noch mal spannend, dass wir noch mal darauf gekommen sind, das: Wie und woher wissen wir, wie Lebensrealitäten ausgesehen haben? – eben über Dokumente von Verwaltungen, Behörden; und deswegen ist jetzt zum Beispiel auch so eine Biografie von Mohamed Husen eine, wo man so ganz offensichtlich gegen den Strich lesen muss. Also, wo man sozusagen, genau, wo man einfach sehr genau sagen kann: Okay, das Amt hat das so und so formuliert, dahinter kann man aber dieses und jenes vermuten – und das ist eigentlich fast noch mal so eine Übersetzungsarbeit für sich, würd ich sagen.

Vielleicht, wenn wir jetzt grade eh auch schon mal noch mal bei den Völkerschauen gewesen sind: Also, es ist ja schon auch interessant, dass quasi bis in die 30er hinein ja auch einfach noch Völkerschauen stattgefunden hatten, eigentlich in fast allen größeren Städten Deutschlands – was mich dann nämlich zu dem Thema bringen würde: Das Verhältnis von Kolonialismus und Nationalsozialismus. Also nicht dass man da irgendwie so eine kohärente Linie ziehen könnte, dass das eine das andere bedingt hätte oder so, aber ich glaube, es wäre schon ganz spannend, sich das noch mal genauer anzuschauen.

Also, jetzt haben wir schon ein paar Mal gesagt, dass es eben diese kolonialrevisionistischen Bestrebungen gegeben hat im NS und dass die Dinge nicht so reglementiert gewesen sind und es anscheinend keine offizielle Linie dafür gab, "Wie wollen wir mit Schwarzen Deutschen umgehen?" – wäre meine Frage an dich: Welche Rolle spielten diese kolonialen Bestrebungen im NS? – also, offensichtlich waren sie da – wie schätzt du das ein, welches Stellenwert sie im Endeffekt hatten?

IW: Ich glaube, was wir festhalten können, ist, dass für die Deutschen das Ende des Ersten Weltkriegs eine große Niederlage war, und es war auch für sie eine Schande, dass sie damit auch ihre Kolonialgebiete abgeben mussten. Und danach gab es immer wieder verschiedene Vereine, Kolonialvereine, auch Politiker*innen, die die Kolonien wieder zurückhaben wollten, weil – und das ist halt wirklich auch wieder das 19. und Anfang 20. Jahrhundert, tatsächlich bis Mitte des 20. Jahrhunderts – die Vorstellung auch bestand, eine große Nation braucht ein Kolonialreich. Also, sie brauchen ein Imperium, um zu zeigen – deshalb war das auch so eine große Schande für Deutschland, dass sie auf einmal kein Kolonialreich mehr hatten.

Und erst wollten sie natürlich sehr schnell wieder zurückbekommen – war wir auch wissen, ist, dass (unv. #00: 33:22-3# ) Kolonialabteilungen auch vergrößert wurden; das heißt, es gab noch mal einen Fokus auf Kolonialreich in Afrika, dort hinzuarbeiten, es wurde viel Propaganda im Land dazu gemacht, und dafür wurden Schwarze Menschen gebraucht.

Und da war auch Mohamed Husen einfach eine zentrale Figur, weil er auch daran geglaubt hat. Ich glaube – jedenfalls scheint es so. Während andere Schwarze Menschen wahrscheinlich gesagt haben: "Okay, vielleicht muss das nicht sein" – aber er ist auf diese Veranstaltungen gegangen, er hat sich einbinden lassen in diese kolonialrevisionistische Agenda und hat ja in Teilen das auch propagiert, indem er zum Beispiel dieses Ehrenkreuz halt trägt und sagt: "Ja, ich habe auf der deutschen Seite gekämpft im Ersten Weltkrieg" – und von daher, ja, das Thema "Kolonialreich" war wichtig für die Deutschen und die Kolonialbestrebungen haben durch die 30er hinweg bestanden, und dann haben sie dann tatsächlich so in den Anfang 40ern aufgehört, weil das Naziregime beschlossen hatte, den Fokus doch wieder auf Europa zu konzentrieren und weniger Zeit und Ressourcen auf Bestrebungen eines Kolonialreichs in Afrika zu verwenden; das heißt, dann werden viele verschiedene Sachen eingestampft, das heißt, auch diese Kolonialabteilung wird wieder reduziert, und was auch abgeschafft wird, ist die "Deutsche Afrika-Schau", die wirklich ein Propagandatool war für diese kolonialen Bestrebungen.

Und da war auch Mohamed Husen einfach eine zentrale Figur, weil er auch daran geglaubt hat. Ich glaube – jedenfalls scheint es so. Während andere Schwarze Menschen wahrscheinlich gesagt haben: Denn hier kamen viele Schwarze Menschen, wurden gezeigt, die, ja, glücklich waren und die sich so darstellen mussten, dass sie glücklich darüber sind, dass es bald vielleicht wieder ein deutsches Kolonialreich geben wird.

Und da war auch Mohamed Husen einfach eine zentrale Figur, weil er auch daran geglaubt hat. Ich glaube – jedenfalls scheint es so. Während andere Schwarze Menschen wahrscheinlich gesagt haben: Das heißt, ab 1940 wird auch die "Deutsche Völkerschau" eingestampft, und das war für vor allem Männer, die da dabei waren, als Möglichkeit, Einkommen zu bekommen.

JN: Genau, mir ist grade, wo du gesprochen hast, auch noch mal eingefallen, zu den Völkerschauen, weshalb die dann im Endeffekt auch nicht mehr stattgefunden hat, so spätestens ab den 40ern, ist ja: zum einen hat sich der Fokus verschoben, zum andern ist aber auch das, was ich vorhin eh gemeint hatte mit: so diese Widersprüchlichkeit, in der dieses Auswärtige Amt sich auch die ganze Zeit bewegt hat – die ist ja quasi in den Völkerschauen auch noch mal sehr deutlich geworden; weil, einerseits hat man dann eben Schwarze Menschen in seiner Mitte, wenn ich jetzt mal so blumig sprechen darf, bei diesen Völkerschauen, wo ja einfach sehr, sehr viele Leute auch hingehen, weil es halt irgendwie so Freizeitbeschäftigung ist für viele Menschen, und gleichzeitig möchte man aber auch propagieren: "Das sind eigentlich unsere Untertanen."

JN: Das heißt, es ist schwierig, in der einen Sekunde irgendwie mit diesen Leuten Spaß zu haben und in der nächsten aber wieder auch so eine sehr klare Hierarchie wieder herstellen zu können.

JN: Gleichzeitig ist es ja auch häufiger dann dazu gekommen, dass es einfach Kontakt gab zwischen Schwarzen Männern und weißen Frauen – auch den wollte man ja unterbinden. Das heißt, also diese Kolonialpolitik der Deutschen hatte, glaub ich, nicht funktioniert, weil eben Schwarze Menschen auch mittlerweile in Deutschland waren, weil es ja zu dem Zeitpunkt auch schon Menschen gab, die Schwarz waren und sich als Deutsche begriffen haben.

JN: Und unter so einer Logik von einem weißen Volkskörper funktioniert das eben nicht mehr. Das heißt, ich glaube, auch das sind dann so Gründe gewesen, weshalb so kolonialrevisionistische Pläne zumindest mehr in den Hintergrund gerückt sind dann irgendwann.

IW: Denke ich auch.

JN: Gleichzeit – also, hinzu kommt dann auch noch eben, dass die einzige Erwerbsmöglichkeit eben Kolonialfilme sind; also, Film ist ja ein Medium, was einfach boomt zu der Zeit, also auch hier noch mal so eine Form von Hypersichtbarkeit; und dann ist vielen Schwarzen Menschen aber auch bewusst, dass eigentlich die beste Strategie jetzt grade eher Unsichtbarkeit wäre.

Vielleicht einfach so als ganz grobe Frage: Was lässt sich deiner Meinung nach über dieses Verhältnis von Hypersichtbarkeit und Unsichtbarkeit im NS sagen?

IW: Ja, also ich denke, dass sie und viele andere Schwarze Menschen dann die Strategie gewählt haben: Ich versuche, nicht aufzufallen, unsichtbar zu sein, auch/

JN: Ich mag zum Beispiel auch die Biografie von Husen, weil sie einen vielleicht auch noch mal ein bisschen anders über Widerstand nachdenken lässt. Also, wenn wir über Widerstand reden, dann haben wir ja – vor allem, wenn wir über Kolonialismus oder so was reden – dann hat man ja immer so diese kolonialen Freiheitskämpfer vor Augen; das ist ja auch sehr heroisch. Ich würd sagen, Husens Biografie ist jetzt vielleicht weniger heroisch, aber ist ja trotzdem auch gespickt von Widerstand, würd ich sagen. Also, es ist so ein: um die Regeln herum Tanzen, gleichzeitig sie sehr genau befolgen, also auch, was du vorhin nämlich noch mal gesagt hast, von wegen: diese Anträge einfach die ganze Zeit schreiben und sich damit ja irgendwo auch in Geschichte hinein schreiben – ist jetzt natürlich irgendwie ein bisschen zu viel vermutet, zu denken, dass sich Husen das auch zu dem Zeitpunkt schon gedacht hat; vermutlich nicht.

JN: Aber, ja, genau, das ist mir grade noch mal eingefallen, dass das ja einen auch noch mal über Widerstand anders nachdenken lässt.

IW: Ja. Ja, ich meine, es gibt auch so eine Episode in Husens Leben, wo er als Swahili-Lehrer arbeitet, und ich weiß nicht genau, was vorgefallen ist, aber anscheinend gibt es eine Auseinandersetzung mit einem anderen Lehrer, und er beschließt halt zu kündigen. "So, ich kündige jetzt", so. Und ich finde halt auch, so diese kleinen Momente, wo man das dann dokumentiert; er hat dort gearbeitet und hat dann gekündigt – also, ich finde das echt spannend irgendwie, dass – wenn ich mir vorstelle – dass jemand noch in den 1930ern/ die Alternative war Kellnern, also so, und sagt dann halt so: "Ich kündige jetzt" – finde ich schon beeindruckend auch.

Und das ist eine Form von Widerstand. Ein kleiner Widerstand. Wir wissen jetzt nicht genau, was da genau vorgefallen ist, aber ich finde es trotzdem spannend zu sehen, dass Husen sich dann halt einspannen lässt in bestimmte neokoloniale und rassistische Diskurse, aber gleichzeitig immer wieder an einigen Stellen rebelliert dagegen und sagt: "Ja, hier möchte ich nicht", und: "Das lass ich mir nicht gefallen", und: "Ich will hier aber das auch noch mal", und so. Und das find ich eigentlich ganz spannend.

JN: Ja. Ich meine, diese Auseinandersetzung, die du da grade meintest mit dieser anderen Person, die auch an diesem Sprachinstitut gearbeitet hat, da ging's darum, dass Husen sich einfach häufig von ihm diskriminiert, rassistisch behandelt gefühlt hat, das wiederholt angesprochen hat und diese andere Person dann aber nichts an seinem Verhalten geändert hat und er dann daraufhin gesagt hat: "So nicht" – also, es ist eh so eine Einstellung, die sich durch alles zieht, würd ich sagen, was er so macht; dass er einfach sehr gut erkennt, wo er diskriminiert wird und was so seine Handlungschancen sind.

Also, auch dieses Beispiel mit dem Fremdenpass, wo er dann ja auch erst mal einen Brief ans Auswärtige Amt geschrieben hat und gesagt hat, dass das so nicht geht – also, dann halt in Bezug auf: "Ich habe für Deutschland gekämpft und werde jetzt auf die und die Art und Weise diskrimiert."

IW: Ja, ich meine, ich frag mich halt, ob in dem Ganzen halt auch noch mal so die Hoffnung auf Privilegien ist, zu sagen: "Ich weiß, dass ich Afrikaner bin, aber ich hab ja auf der Seite von den Deutschen gekämpft, für euch gekämpft auf eurer Seite, deshalb solltet ihr mich anders behandeln als alle anderen. Denen könnt ihr Fremdenpässe geben, aber mir bitte halt nicht" – also, ich meine, ich hab das Gefühl, das schwingt so ein bisschen noch mal mit, auch beim Antrag zu dem Fremdenpass, dass er das eben nicht haben möchte.

JN: Ja genau, das ist für mich schon auch das, was sich durchzieht, also wenn er sich immer wieder auf dieses Stereotyp des "treuen Askaris" bezieht und sagt – im Endeffekt sagt er: "Ich bin nicht wie alle anderen. Ich bin, in dieser Vielzahl von Schwarzen Menschen, die in Deutschland leben, bin ich noch mal was anderes" – ja. Okay. Wenn dir nichts mehr brennend auf den Lippen liegt, dann bedanke ich mich sehr für das Gespräch. Ich fand's sehr schön, es waren auch noch mal so einige Sachen bei, die jetzt auch noch mal so neu aufgeploppt sind, über die ich auch noch mal anders nachdenken konnte – deswegen bedanke ich mich sehr bei dir, Ismahan, und würde sagen: Bis bald.

IW: Vielen Dank. Danke dir. Ich hab das Gespräch auch mega genossen, und bis bald. Tschau.

JN: Tschau. –

JN: Das war Telling Our Stories. Erzählte Geschichte.

JN: Ein digitales Ausstellungsprojekt der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland.

Konzept: Jeanne Nzakizabandi

Webdesign: Studio Abo

Produktion: Géneviève Lassey

Recherche: Merle Kondua

Recherche: Gefördert von der Stiftung Erinnerung Verantwortung und Zunkunft

Im Rahmen von: Wie wir erinnern. Plurale Erzählungen, kollektive Geschichten,

Im Rahmen von: gemeinsame Wege.

Im Rahmen von: Mehr Infos findet ihr unter www.tellingourstories.de

Im Rahmen von: (Musik-Outro)

Kommentare (1)

Sholo

Sehr interessante Beiträge! Dankeschön 😍 Vielleicht ein Punkt dazu zu Mohamed Husen und sein angeblich "Treue ". Der Punkt dass er aus dem heutigen Tansania, sollten wir uns auch mit Konflikten vorort in Tansania, die bis heute bestehen auseinanderzusetze.. Es gab und gibt bis heute der Narrativ der "Araber" der dort konstruiert wurde als zivilieter als der "Afrikaner". Da musste man genauer hinschauen zu welchen Seite er gehörte in der damaligen Tansania. Ich hoffe diese Erklärung ist verständlich und hilfreich. Telling our Stories ist eine geniale Sache, bitte weiter so❤️ Sholo

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