Folge 6: Der gemeinsame Traum vom Sozialismus. Vertragsarbeit in der DDR

Shownotes

Olga Macuacua kam selbst in den 1980er Jahren als Vertragsarbeiterin in die DDR. Vertragsarbeitende lebten sehr reglementiert, in dieser Folge gehen wir daher der Frage nach, ob und welche Möglichkeiten des Zusammenkommens es trotzdem gab. Konnte trotz eines Alltags, der in erster Linie von Arbeit bestimmt war, ein Gefühl von community unter den Arbeiter*innen entstehen?

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Folge 6_DDR_Olga Macuacua_postproduziert_aktualisiert_.rtf

OM: Na ja, wenn ich mal dort eine Ausbildung mache und dann gutes Geld verdiene, ich würde genauso wie die Ausländer, die in meiner Heimat sind – das war meine Vorstellung gewesen. Aber das war leider nicht so gewesen. Das war das Gegenteil.

OM: (Musik-Intro)

JN: Hallo und willkommen zu "Telling our Stories – Erzählte Geschichte", dem Podcast zur gleichnamigen digitalen Ausstellung. Dieses Projekt widmet sich dem Thema Schwarze deutsche Geschichte und setzt dabei vor allem ein Highlight auf Migrationsbewegungen nach Deutschland, von Deutschland weg, und es handelt sich hierbei um ein Projekt der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, kurz: ISD.

JN: Mein Name ist Jeanne Nzakizabandi, ich bin Kuratorin, politische Referentin und in diesem Kontext Host dieses Podcasts, in dem ich mich Folge für Folge mit spannenden Menschen unterhalten darf.

Und ein kleiner Hinweis noch, bevor wir starten: Der Podcast und das ganze Projekt insgesamt, also auch die Ausstellung, richtet sich vor allem an Schwarze Menschen; ihre Geschichte soll hier im Fokus stehen, ihre Erfahrungen als Schwarze Menschen in Deutschland sind in diesem Podcast zentral.

Letztlich ist es natürlich so: alle, die sich für das Thema interessieren, sind eingeladen, sich den Podcast und die digitale Ausstellung anzuhören beziehungsweise anzuschauen. Ihr hört jetzt grade die sechste und damit schon die vorletzte Folge von "Telling our Stories" – nachdem wir uns in der letzten Folge einen Blick auf Kolonialismus, Weimarer Republik und Nationalsozialismus schon geworfen haben, wollen wir uns diesmal dem Thema "Deutsche Nachkriegszeit" widmen, denn in dieser Folge wollen wir uns vor allem den Themenkomplex von mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen in der DDR anschauen – ganz besonders interessieren uns natürlich die wenigen Frauen, die sich für ein Leben in der DDR, zumindest auf Zeit, entschieden haben.

Letztlich ist es natürlich so: Und Olga Macuacua ist mein Gast heute und sie ist eine solche Person.

Letztlich ist es natürlich so: (Musik)

JN: Bevor ich sie vorstelle, möchte ich aber erst mal, so wie immer, eine kurze Einführung zur, ja, ich sag mal: historisch-politischen Situation – wir befinden uns in der Nachkriegszeit beziehungsweise auch schon ein bisschen fortgeschrittene Nachkriegszeit, Mitte der 70er Jahre erlangt Mosambik seine Unabhängigkeit.

JN: Bis dahin stand es unter portugiesischer Fremdherrschaft; neben den verschiedenen Dekolonisierungsbewegungen ist aber vor allem das politische Geschehen stark vom Kalten Krieg geprägt, und in dieser Situation entscheidet sich die FRELIMO, das Land nach sozialistischen Vorstellungen aufzubauen.

FRELIMO ist ein Begriff, der auf jeden Fall noch öfters fallen wird in dieser Folge wahrscheinlich, deswegen einmal eine Kurzdefinition vielleicht, die Olga mit Sicherheit nachher noch vervollständigen kann: Bei der FRELIMO handelt es sich um eine Gruppe, die während des Unabhängigkeitskriegs in Mosambik vor allem militärisch agierte, würde ich sagen, und nach der Unabhängigkeit entschied sich die Gruppe, die Form einer Partei anzunehmen, war dann auch erst mal Regierungspartei.

FRELIMO ist ein Begriff, der auf jeden Fall noch öfters fallen wird in dieser Folge wahrscheinlich, deswegen einmal eine Kurzdefinition vielleicht, die Olga mit Sicherheit nachher noch vervollständigen kann: In dieser Situation des Neubeginns und des Aufbaus schlossen die DDR und Mosambik einen Staatsvertrag, der unter anderem den Einsatz von mosambikanischen Arbeitskräften in der DDR einführte und vor allem regelte.

Zwei, drei Hard Facts zu diesem Staatsvertrag, bei dem aber auch einiges mehr noch beschlossen wurde: Der Vertrag sah vor, dass vor allem junge Mosambikaner*innen unter bestimmten Voraussetzungen – also, gewisse Zugänge brauchte es dann schon – für einen Zeitraum von circa vier Jahren in die DDR gehen konnten, um einen Ausbildungsberuf zu erlernen.

Zwei, drei Hard Facts zu diesem Staatsvertrag, bei dem aber auch einiges mehr noch beschlossen wurde: Allerdings – das war auch Teil des Vertrags – wurden sechzig Prozent des Ausbildungsgehalts einbehalten und sollte den Vertragsarbeiter*innen erst ausgezahlt werden, wenn sie wieder in Mosambik sind.

Also, hier war direkt quasi schon so ein "Sicherheitsmechanismus" quasi eingebaut, dass diese Personen eben auch wieder zurück nach Mosambik gehen; und um dem Ganzen so eine Größenordnung zu geben, wie viele Leute tatsächlich diese Migration dann angetreten sind: Das mosambikanische Arbeitsministerium schätzt, dass circa 16.000 Mosambikaner*innen auf diesem Weg in die DDR gingen – die Zahlen dazu sind immer ein bisschen unterschiedlich, das liegt aber auch daran, dass es einige sind, die mehrmals in die DDR gegangen sind.

Also, hier war direkt quasi schon so ein "Sicherheitsmechanismus" quasi eingebaut, dass diese Personen eben auch wieder zurück nach Mosambik gehen; und um dem Ganzen so eine Größenordnung zu geben, wie viele Leute tatsächlich diese Migration dann angetreten sind: Ich finde, in diesem Vertrag wird einiges sehr deutlich, unter anderem eben auch die Interessen der DDR, aber auch die Interessen Mosambiks. Die DDR, die das Abkommen über die Vertragsarbeit als Form der "Entwicklungshilfe", in ganz dicken Anführungszeichen – ja, wurde dieses Abkommen tatsächlich auch verstanden – verfolgt; in diesem Kontext eben auch das Ziel, sozialistische Wertvorstellungen zu propagieren.

Also, hier war direkt quasi schon so ein "Sicherheitsmechanismus" quasi eingebaut, dass diese Personen eben auch wieder zurück nach Mosambik gehen; und um dem Ganzen so eine Größenordnung zu geben, wie viele Leute tatsächlich diese Migration dann angetreten sind: Mosambik hingegen verfolgt eher das Ziel, seinen Fachkräftemangel aufzufangen – unter portugiesischer Herrschaft wurde relativ wenig ausgebildet, das heißt, dieses Land musste sich wirklich komplett aufbauen, und durch dieses Abkommen erhofft man sich eben, dass die Vertragsarbeiter*innen, die in der DDR ausgebildet werden, nach ihrer Rückkehr eben das Land vor allem infrastrukturell auch aufbauen.

Also, hier war direkt quasi schon so ein "Sicherheitsmechanismus" quasi eingebaut, dass diese Personen eben auch wieder zurück nach Mosambik gehen; und um dem Ganzen so eine Größenordnung zu geben, wie viele Leute tatsächlich diese Migration dann angetreten sind: Ich hab das jetzt so dichotom zusammengefasst – das kann man mit Sicherheit nicht; die Einzelpersonen haben sowieso noch mal ihre ganz eigenen Motivationen, aber das sind so zwei Grundlinien, die man schon ziehen kann, würde ich sagen.

Also, hier war direkt quasi schon so ein "Sicherheitsmechanismus" quasi eingebaut, dass diese Personen eben auch wieder zurück nach Mosambik gehen; und um dem Ganzen so eine Größenordnung zu geben, wie viele Leute tatsächlich diese Migration dann angetreten sind: Und ich möchte an der Stelle natürlich auch noch mal erwähnen, dass deutsch-mosambikanische Beziehungen nicht erst mit diesem Vertrag angefangen haben, sondern sie haben eine Historie, über die wir gleich auch sprechen wollen, und es soll auch erwähnt sein, dass Mosambik nicht das einzige sogenannte "Bruderland", in Anführungszeichen, der DDR gewesen ist; es gab ähnliche Verträge mit Angola, Kuba, Vietnam.

Also, hier war direkt quasi schon so ein "Sicherheitsmechanismus" quasi eingebaut, dass diese Personen eben auch wieder zurück nach Mosambik gehen; und um dem Ganzen so eine Größenordnung zu geben, wie viele Leute tatsächlich diese Migration dann angetreten sind: Heute werfen wir den Spotlight aber auf den Vertrag mit Mosambik, und zu diesem Zweck habe ich wieder einen Gast – ich hab's schon angeteasert – ich darf mich heute unterhalten mit Olga Macuacua. Hallo Olga.

OM: Hallo.

JN: Hi. Willst du dich als Erstes kurz vorstellen? Wer du bist, was du machst?

OM: Also, ich bin Olga Macuacua und ich bin 57 Jahre alt. Ich bin Mutter von drei Kindern und ich bin Krankenschwester. Ich lebe schon hier in Deutschland, also, in Dresden schon seit 1986. Ja, genau.

JN: Genau, und du bist auch im Zuge von diesem Vertragsarbeiter*innenabkommen in die DDR gekommen – ich würde vielleicht vorher noch mal anfangen mit Beziehung zwischen Mosambik und DDR, weil man fragt sich ja schon: Wie kam es ausgerechnet zwischen diesen zwei Ländern zu diesem Vertrag? – also, weißt du, wie die DDR quasi, ja, dieses politische Engagement, wenn man's so nennen möchte, der DDR, wie interpretierst du das für dich?

OM: Also, ich weiß, dass nach der Unabhängigkeit, nach der Koloniezeit Mosambik sowie Angola und andere Länder wie Vietnam und Kuba, sie haben sich entschieden dafür, Sozialismus einzurichten. Und deswegen, die Länder, die sozialistisch waren, die waren irgendwie, ich sag mal so, ja, Geschwister, die hatten dieselben Interessen, die Bevölkerung mehr zu schützen, so: Es darf keine Armen geben, es darf keine Reichen geben – und so in diesem Niveau haben die immer versucht, uns zu erziehen.

OM: Zu sagen, also, zum Beispiel in der Zeit, 1986, ich hab wenig gehört von BRD damals, von Westdeutschland. Man hat uns nicht so richtig erklärt, was das ist, was überhaupt passiert ist, oder in der Schule, wir wussten das, es gab ja den Zweiten Weltkrieg, aber was ganz genau gewesen war – nur nach und nach, wo man ja in Deutschland war, hat dann mit Kollegen gesprochen und die haben uns was erzählt.

Aber nur das Böse dort, also, "Das ist Kapitalismus", und dann: "Wenn du arm bist, dann schläfst du nur auf der Straße – aber der Sozialismus, der versucht das ja, dass niemand auf der Straße schlafen darf oder niemand verhungern darf", und das war so eine Ideologie, die wir immer damals gelernt haben, und auch nach Deutschland gekommen, das hat uns immer sehr, sehr motiviert, dann auch hier einen schönen Beruf zu lernen, den wir mal später bei uns zuhause üben konnten, ohne Probleme. Dass man sich keine Sorgen machen kann um Arbeit – das war eben so; du kommst in die DDR und danach nach Hause, du wirst wieder nach Hause/ und dann bist du erfolgreich – und dadurch, dass man noch viel zu jung war, hatte jeder solche Träume gehabt.

JN: Das heißt also, auch in Mosambik wurde schon quasi immer sehr klar vermittelt: "Die DDR ist ein gutes Land, es ist"//

OM: Ja. Ja.

JN: Okay. Aber Mosambik mit FRELIMO als Regierungspartei war ja auch dabei, sich quasi sozialistisch aufzubauen.

OM: Ja. Ja.

JM: Und dann gab's ja bestimmt auch quasi Zusammenarbeit zwischen der FRELIMO und DDR-Regierungsmenschen, oder?

OM: Ja, das gab's, ja. Ich weiß noch, dass – das Wort fiel ja – unser erster Präsident, der war nicht Präsident aus Mosambik, aber der war Präsident von FRELIMO, der war gegen diesen Sozialismus gewesen. Und viele mehr. Und ich weiß genau, solche Leute sind umgebracht, von einer Bombe, von irgendwas Unerklärtem gewesen, weil die wollten nicht, dass Mosambik ein soziales Land wird. Und nach und nach, unser Präsident auch, der später auch gesehen hat, das hat keinen Sinn – da wollte man ja politisch alles ändern – der wurde auch umgebracht deswegen.

OM: Genau. Und heute sagt man, Mosambik ist nicht mehr sozialistisches Land, ist ein demokratisches Land und so, aber trotzdem, es gibt keine Meinungsfreiheit. Bis heute noch.

JN: Das heißt, man kann sagen, Mosambik ist quasi so in diese Zeit reingefallen, wo man sich so entscheiden musste, auf welcher Seite man steht, und dann wurde natürlich auch um quasi ein Land, das frisch unabhängig geworden ist, wurde quasi gekämpft, auf welche Seite dieses Land jetzt kommt.

OM: Genau, genau. Das haben die gemacht und ich weiß noch, nach der Unabhängigkeit, wir hatten viele in Mosambik, viele Deutsche eben aus der DDR, die gekommen sind, als Ingenieur – ob die wirklich Ingenieure waren oder so was, das kann ich nicht behaupten.

Man hat nur gesehen: Okay, die sind Ingenieur, und ich hab die Leute gesehen, ich sag: Okay, wie die in meiner Heimat gut leben, das bedeutet, dass wenn ich aus meiner Heimat hingehe, ich werde dann genauso behandelt und ich werde genauso gut leben, so wie die hier in meiner Heimat leben.

Man hat nur gesehen: Das war meine Vorstellung gewesen.

JN: Okay, das heißt, du dachtest, bevor du in die DDR gegangen bist: Wenn die DDR-Leute hier so gut leben, dann würde ich in der DDR auch sehr gut leben?

OM: Ja, genau.

JN: Das war die Vorstellung.

OM: So wie die Russen auch – weil die haben ihre Häuser gehabt und haben ihre Autos gehabt; ich sag: Na ja, wenn ich mal dort eine Ausbildung mache und dann gutes Geld verdiene, ich würde genauso wie die Ausländer, die in meiner Heimat sind – das war meine Vorstellung gewesen. Aber das war leider nicht so gewesen. Das war das Gegenteil.

JN: Okay. Genau, das wäre auch meine nächste Frage gewesen, also quasi, du hast jetzt schon gesagt, deine Wünsche, Erwartungen waren, du würdest ein gutes Leben in der DDR führen – aber vielleicht kannst du vorher noch mal kurz erzählen: Wie war überhaupt das Prozedere, dass man ausgewählt wurde? – weil nicht jeder konnte ja in die DDR, es gab ja Voraussetzungen, oder?

OM: Jaja, es gab/ man musste an erster Stelle gesund sein und du musst auch sehr diszipliniert sein. Die haben auch mal in der Schule gefragt, wo du warst, ob du diszipliniert bist, Respekt und so, und dann nur solche Leute. Und man musste Eigenschaft für den/ also, viele Leute haben sogar drei Monate/ das hieß ja damals Posada, das war ein Internat für die Mosambikaner, die nach Deutschland gehen sollten.

Und die haben dort drei Monate oder vier Monate verbracht, um zu gucken, wer ist hier schlecht erzogen oder wer hat keine Disziplin, und wenn die das dort rausgefunden haben, dass du frech bist oder irgendwie, dann haben sie einen rausgeschmissen. Nur diejenigen, die alles gemacht haben, was die dort in dieser Posada gesagt haben, gesagt: "Okay, der ist pünktlich, der hat Respekt, der ist fleißig" – und dann nur solche Leute sind dann in die DDR gekommen.

JN: Okay, aber war das immer so oder gab es diesen Fall, dass man vorher quasi in dieses Internat gekommen ist? Warst du auch auf so einem Internat?

OM: Ich war – na, mein Fall war ganz anders. Ich wollte/ die Zeit, dann '86 – ich glaub, das hat, wann hat das angefangen? Weiß ich nicht, '79 oder '80 – und in der Zeit war viel Mangel in der DDR gewesen, wo es dann viel schneller gehen sollte. Man sollte nicht mehr drei Monate in diesem Internat bleiben, sondern nach einem Monat maximal, sobald du gesund bist, sollst du nach Deutschland kommen.

OM: Und dann sind natürlich viele Leute, die gekommen sind, die nach einer Woche oder nach drei, vier Monaten haben sie gesehen, dass sie diese Arbeiten – "Zuhause hätt ich die niemals gemacht, wäre ich mal lieber weiter in die Schule gegangen, statt so einen Job zu machen" – sagen wir mal so. Genau.

JN: Okay, das heißt, am Anfang wurde quasi noch sehr genau geguckt und aussortiert: Wer darf in die DDR? – aber später dann, auch als du gegangen bist – du bist 1986 in die DDR gegangen//

OM: Ja//

JN: hat man nicht mehr so genau geguckt. Und das liegt, genau, hast du auch grade schon gesagt, am Anfang noch sehr kontrolliert, aber später war quasi auch Arbeitskraftmangel in der DDR, und dann hat man nicht mehr so genau geguckt.

JN: Das heißt, du bist 1986, das heißt, du hast schon zu denen gehört, die ein bisschen später//

OM: Ja, genau//

JN: gegangen sind. Genau, und dann? Du hast dich dafür entschieden, in die DDR zu gehen, du kommst an – was sind so deine ersten Eindrücke?

OM: Na, erst mal/ wir sind mit dem Bus von Berlin-Schönefeld, und dann gab's dort drei oder vier Busse, und die haben gesagt, nur gesagt: "Du gehst in diesen Bus, diesen Bus, diesen Bus", und man wusste nicht genau, wo man hingeht.

OM: Und dann bist du dort in diesem Betrieb angekommen und dann sind wir/ uns geteilt, "Du und du, du, Maria, Olga", und so, "du schläfst mit dem, du, Maria", und so, "Fernanda, du schläfst mit dem", und dann, haben wir uns angeguckt, weil wir uns vorher nicht kannten oder irgendwie, es gab auch keine Möglichkeit, dass die Leute vorher, die sich kannten, dass sie vielleicht zusammenziehen in ein Zimmer.

Und eine Woche später dann haben wir von uns aus gemacht: diejenigen, die sich gut verstanden haben, ob wir mal tauschen könnten.

JN: Hm-hm.

OM: In Internat. So: "Okay, für mich ist es lieber, wenn ich mal mit Maria oder mit einer zusammen bin", und die auch: "Ja, für mich ist's auch lieber", dann – das war möglich gewesen, aber unter uns dann. Aber am ersten Tag ist man dort angekommen, sag mal so, hingeschmissen dort im Internat, ja, und dann, zwei, drei Tage hatten wir einen Betreuer gehabt.

OM: Und der Betreuer hat mit uns dann in einem Warenhaus, da mussten wir Klamotten kaufen – was uns gefällt, aber mussten wir/ durch unser Gehalt wurde das Geld/ wenn du deinen Einkauf gemacht hast für 200 oder für 300 DM, wird dann irgendwann aus deinem Gehalt dann abgezogen.

JN: Hm, okay, verstehe.

OM: Genau. Ja, so war das gewesen.

JN: Okay. Und, also erst mal kamt ihr in eure Unterkunft, also wahrscheinlich diese Arbeiterwohnheime, meinst du?

OM: Ja.

JN: Wo man dann/ alle, die da gewohnt haben, waren quasi Vertragsarbeiter, und dann ein Betreuer, der quasi eure Ansprechperson ist und erst mal mit euch einkaufen gegangen ist.

JN: Dann, genau, ich glaub, bei den Ersten, die, die quasi noch Anfang der 80er Jahre in die DDR gekommen sind oder gegangen sind, die haben ja noch Deutschkurse und so was gemacht, oder zumindest so einen Crashkurs.

OM: Ja, genau.

JN: Habt ihr das auch noch gemacht oder wurde das nicht mehr …?

OM: Das ist gemacht, aber das war drei Wochen nur – was haben wir gelernt? – Maschine, ja, Guten Tag, Guten Morgen, und dann "Broiler", so was Ähnliches hat man ja das gelernt, und was man schneller gelernt hat, war ja "Bockwurst", so, ja genau (lacht) und ja, und dann – wir waren dann im Betrieb, dann ging's eben schneller, durch die Kollegen, die deutschen Kollegen, die mit uns gearbeitet haben und mit uns kommunizierten, aber richtig deutsche Sprache zu lernen, das haben die uns nicht beigebracht; nur drei Monate, ach nein, drei Wochen oder vier Wochen maximal, wo man ja gelernt, ja, "Brot", "Butter" und so ähnlich, so dass man dann, wenn man einkaufen geht, was genau – "Okay, ich brauch mal Butter, ich brauch mal Wasser", oder so was Ähnliches; mehr war nicht, und ich glaub nicht, dass ein Mensch in vier Wochen – kann ja überhaupt nicht eine Sprache lernen.

JN: Wahrscheinlich nicht.

OM: Ja.

JN: Wahrscheinlich nicht, nee. Du hast grade schon angesprochen, du hast eher Deutsch gelernt über deine Arbeitskollegen im Betrieb – du hattest im Vorgespräch gesagt, du hast zwischendurch auch den Betrieb gewechselt, aber zuerst, in welchem Betrieb warst du da?

OM: Na, ich hab nicht den Betrieb gewechselt, ich bin//

JN: Ach so//

OM: ich bin immer dort gewesen, bis dann in der Wende – in der Wende hab ich einen anderen Beruf dann gelernt, danach.

JN: Okay.

OM: Ja, genau.

JN: Aber in, genau, in was für einen Betrieb bist du gekommen?

OM: Also, ich war in einem Glaswerk, und diesen Betrieb gibt's immer noch, und unsere Arbeit war: Wir mussten immer/ haben die uns mal gezeigt, dort war ein grüner Knopf, den du immer drücken sollst, und dann, diese Maschine hat ja die Flaschen also empfangen und dann in einen Karton, und immer so, und dann mussten wir ja (unv. #00:20:41-9# ) machen und manchmal mussten wir wechseln – man saß so in einer Vitrine, wo die kaputten Flaschen waren, und dann musst du mit der Hand ja immer hinschmeißen, welche Flasche kaputt war und welche nicht, also die guten Flaschen mussten wir eher/ da kamen ja die Flaschen so in einer Reihe, und dann konntest du immer sehen, welche kaputt ist, muss man rausnehmen, also sortieren sozusagen.

Und da hab ich mich gefragt, warum bin ich von Mosambik hierher in die DDR gekommen, um Flaschen zu sortieren? – für so was braucht man keine Ausbildung, jeder konnte das machen, auch so ein kleines Kind von drei oder vier Jahren, wenn man dem sagt: "Alles, was hier rein kommt, in der Reihe, was kaputt ist, nimmst du raus und schmeißt es mal weg" – jeder hätte das gemacht, und ja, ich war stinksauer deswegen, ich sag halt so: "Wollt ihr uns verarschen oder was soll denn das, von der Arbeit?" – weil ich konnte auch nicht mal mir vorstellen, dass ich in Mosambik so eine Arbeit gemacht hätte, hätte ich nie, niemals in meinem Leben.

Und deswegen hätte ich auch nicht gebraucht, nach Deutschland zu kommen, um Flaschen zu sortieren. Und nach und nach hab ich selber mal festgestellt: Nein, entweder – ich sag das nicht gerne, aber ich sag, ich hab von mir so gedacht: Na ja, das ist vielleicht wie die nächste Sklaver/ denk ich mir so: du kommst von deiner Heimat, du weiß nicht, was du machen sollst, musst aber machen, weil's so im Vertrag steht; aber für uns, wenn die uns mal gesagt hätten, was für eine Arbeit wir/ meine Vorstellung wäre, hätte ich niemals mich getraut, in die DDR zu kommen.

JN: Ja, verstehe ich natürlich. Also, weil offiziell hieß es ja, "Mosambikaner*innen"//

OM: Ausbildung//

JN: genau, "machen eine Ausbildung in der DDR, sie lernen etwas, womit sie dann später quasi in der DDR, ja, Infrakstruktur aufbauen können" – aber grade diejenigen, die später gekommen sind, so wie du, die haben dann nicht mehr – also, so ist es, wie ich es quasi bei meiner Recherche gelesen hab – umso später man gekommen ist, desto schlechter war die Wahrscheinlichkeit, dass man tatsächlich eine Ausbildung gemacht hat, sondern man hat den Arbeitskräftemangel in der DDR aufgefangen.

OM: Genau. Genau, genau. War das auch gewesen. Also, die wollten mal unbedingt, dass wir sofort in den Betrieben mal arbeiten, und die wissen ganz genau, dass die Arbeiten, die wir machen sollten oder mussten, da braucht man keine Deutschkenntnisse. Du siehst, wie die Flasche kaputt ist – wegschmeißen.

OM: Und daher hatten die keine Zeit mehr, uns mal wirklich hier in die Schule zu lassen oder eine richtige deutsche Sprache beizubringen – da hatten sie keine Zeit; die wollten nur Arbeitskräfte haben, und mehr nicht.

JN: Ja, das wusstest du wahrscheinlich damals nicht – aber du kamst ja 1986; und '89/90 hat sich dann ja wieder auch einiges verändert in Deutschland, und zwar kam die Wende, Deutschland wurde quasi wiedervereinigt – und damit hat sich ja quasi auch der Status für viele Vertragsarbeiter*innen von jetzt auf gleich geändert; magst du dazu noch mal was sagen, wie das konkret war und was das für dich für eine Situation dann auch war?

OM: Ja, also am Anfang hab ich auch nicht richtig verstanden – hab ich nicht verstanden; ich hab viele Menschen gesehen, auf der Straße gegangen, und ich hab gesagt: "Was machen die da?" – niemand wollte mir/ uns mal ganz genau sagen, was los war.

Und dann irgendwann hab ich dann gehört, dass/ "Die Mauer ist gefallen" – ich sag: "Was für eine Mauer gibt's hier?" – "Na ja, die BRD und es gibt keine DDR mehr", und dann hat der Betreuer uns gesagt, also, es ist nicht mehr sozialistisch und deswegen müssen wir alle nach Hause zurückkehren; muss alles zurückkehren – nur die Männer, die diese Maschinen/ die mit Maschinen gearbeitet haben, dürfen bleiben; aber da war in meinem Internat nur fünf Männer gewesen.

Und die Frauen waren 28 – wir waren 28 Mädchen gewesen; 27 sind zurückgekehrt, ich bin dann allein da geblieben. Ich bin da allein geblieben, weil mein damaliger Freund war Gruppenleiter von Angolanern gewesen, und dann, die wussten – der hat gesagt: "Wenn du hier in Deutschland bleibst, auf deinen eigenen Füßen darfst du auch hier bleiben, aber du musst wissen, was du machst" – und dann hab ich mir überlegt, ich sag: Okay, wenn ich nach Hause zurückkehre – ich hab keine Ausbildung; die Ausbildung hier, für Flaschen sortieren oder Verpackung, das war nicht für mich. Ich hätte niemals in Mosambik so einen Job gemacht.

Und da hab ich gesagt, ich würde mich auch immer schämen vor meiner Familie, wenn die mich mal fragen: "Okay, du warst in Deutschland vier Jahre, fünf Jahre – was hast du dort gelernt?" – "Okay, ich hab mal gelernt, wie sieht eine kaputte Flasche oder so was ähnliches" – ich sag: Nein, ich bleib mal hier; aber in der Zeit – die Kirchen haben eine große Rolle gespielt in der Zeit.

Die, ja genau, die haben uns gesucht, die haben gesagt, also: "Die Leute, die hier in Deutschland bleiben wollen, wir wollen euch mal unterstützen" – und dann haben die uns im Internat, das ist in Radebeul, sind ungefähr so zwanzig Kilometer von hier, in Dresden, und dort haben wir noch mal von/ haben die uns vorbereitet, damit wir eine Ausbildung machen können.

Es gab Ausbildung für Mechaniker, für die Männer, und für die Frauen eben Krankenschwester oder Schneider, so was ähnliches haben die uns vorbereitet, und ein Pfarrer, der mit mir gesprochen hat, der hat gesagt: "Es wäre schön, wenn du Ausbildung machst als Krankenschwester, weil du hast eine Ausbildung für dein ganzes Leben."

Es gab Ausbildung für Mechaniker, für die Männer, und für die Frauen eben Krankenschwester oder Schneider, so was ähnliches haben die uns vorbereitet, und ein Pfarrer, der mit mir gesprochen hat, der hat gesagt: Und dort im Institut haben wir dann noch mal wieder Deutsch gesprochen und gleichzeitig Vorbereitung für die Ausbildung, was man machen sollte – Chemie, Physik und alles. Und nach neun oder nach zwölf Monaten, dann haben wir/ in der gleichen Zeit war auch hier Vermittlung mit den Krankenhäusern, wo wir die Ausbildung machen konnten oder die Krankenhäuser, die diese Ausbildung übernehmen konnten, die Kosten.

Es gab Ausbildung für Mechaniker, für die Männer, und für die Frauen eben Krankenschwester oder Schneider, so was ähnliches haben die uns vorbereitet, und ein Pfarrer, der mit mir gesprochen hat, der hat gesagt: Und war ja Diakonistenkrankenhaus, das ist ein kirchliches Krankenhaus, wo St.-Josef-Stift auch war, ein kirchliches Krankenhaus, bis heute noch, und da hatten wir Ausbildung; ich hab dann Ausbildung, also Theorie war ich in einer staatlichen Schule gewesen, und dann das Praktikum als Schülerin war ich in einem kirchlichen Krankenhaus gewesen, bis heute noch.

JN: Okay. Okay, verstehe. Das heißt – noch mal so Kontext oder Rahmung – mit der Wende war ja auch einfach, genau, euer rechtlicher Status nicht mehr klar; weil die DDR gab es nicht mehr, der Vertrag wurde mit der DDR gemacht, das hieß: was macht man mit diesen Vertragsarbeiter*innen? – und so wie ich das in meiner Recherche auch gesehen hatte, genau, es bestand immer die Option auch zu bleiben, nur die meisten Betreuer haben das nicht so gesagt.

OM: Ja, genau.

JN: Die meisten Betreuer haben einen eher dazu nahegelegt, wieder zurück, Mosambik, Vietnam, wo auch immer man vorher gelebt hatte – und wenn man geblieben ist, dann quasi so auf eigene Faust, so wie du das grade erzählt hattest.

OM: Ja, genau.

JN: Und dann gab es bei dir quasi/ genau, also ich glaube, dass da auch einfach viel Glück dann in deiner Geschichte mit dabei ist, dass du quasi über diese kirchlichen Träger eine Ausbildung machen konntest.

OM: Ja.

JN: Genau.

OM: Das war so. Und ja, ich hab meinen Freund kennengelernt, und dann, neun Monate später war ich schwanger gewesen – das war wieder das Drama, weil ich im Internat war; ich sagte: Wie willst du jetzt das Kind bringen ins Internat? – das ging gar nicht.

JN: Ah, das heißt, zum Ende von deinem Vertragsarbeitervertrag bist du schwanger geworden?

OM: Ja, genau.

JN: Okay.

OM: Neun Monate später, also '91. Ja, ich bin schwanger geworden im Internat. Und ich hab dann rausgekriegt, wo ich schon im dritten Monat schwanger war; wo ich Ultraschall gemacht habe, und ich hab dann geweint, dort in meinem Zimmer, und dann waren dort drei Frauen gewesen, und die haben mich gefragt, warum – und ich hab das erzählt, meine Situation.

Weil, damals hatten wir nur vierhundert DM monatlich – und dann, ich hab mich gefragt: Was machst du mit 400 DM monatlich, mit dem Baby und alles?

JN: Und dann kommt ja auch noch hinzu, dass man eigentlich als Vetragsarbeiterin nicht schwanger werden durfte; sich entscheiden, entweder Schwangerschaft oder für den Vertrag. Oder? So hab ich das verstanden.

OM: Nein, damals hatte ich schon Glück gehabt, weil das war schon nach der Wende gewesen.

JN: Ah, okay.

OM: Das war nach der Wende gewesen, ja. Ich bin in diesen fünf Jahren, ich war allein, ich hatte keinen Freund gehabt, nur dann nach der Wende, ich sag: Na ja, dann musst du dir jemand suchen, der vielleicht mit dir durch das Leben durchgehen kann – und dann hab ich eben meinen damaligen Freund, also der Vater meiner Kinder, wie gesagt, der war Gruppenleiter, der mir das gesagt hat; und wir sind dann zusammengezogen in diesem Internat in Radebeul.

OM: Und dann war ich schwanger, ja, und die Frau hat gesagt – die wollten mir da helfen und so, und dann haben wir eine Wohnung gesucht, weil ich eben schwanger war, ich durfte nicht mehr im Internat dort bleiben; also bis sieben Monate ging es ja noch, aber das war/ ich sag, in zwei Monate, das Baby muss mal kommen irgendwann mal. Und ich konnte ja nicht das Baby vom Krankenhaus im Internat/ und dann haben wir eine Wohnung gesucht, und wir haben auch eine Wohnung gekriegt, weil ich schwanger war, aber diese Wohnung war unbewohnbar.

OM: Die Scheiben, da war alles kaputt, und Ratten drin, waren auch dort dabei, wenn das Wasser – da gab's kein warmes Wasser, nur, also, das hat nur getropft, und dann musste ich erst mal, ja, das Wasser warm machen, und dann hab ich gewartet, bis es dunkel ist, damit ich mich mal waschen konnte; weil es gab auch keine richtige Toilette, wo man sich waschen konnte oder irgendwie – und die Frau hat gesagt, die darf uns keine ordentliche Wohnung uns geben, weil sonst hätte man ja die Deutschen gefährdet wegen uns.

OM: Weil, '91, es gab sehr, sehr viel Brandstiftung im Internat, in Wohnheimen von Ausländern und von Vietnamesen oder auch von Mosambikanern oder von Angolanern, gab's viel Brandstiftung '91 – und dann, die Frau hat uns gesagt, nein, sie darf uns keine ordentliche Wohnung uns geben, wo auch Deutsche sind, sonst gibt es ja Brandstiftung, wo Deutsche auch sterben könnten wegen uns.

Und deswegen hat sie uns eine unbewohnbare Wohnung gegeben und noch mal die Leute von der Gemeinde, von der Kirche, die haben gesagt: "Bleibt mal hier, bis das Baby da ist, weil wir wissen genau, was der nächste Schritt ist" – und da hab ich meine Tochter am 28. Oktober '91 geboren, ich bin noch neun Tage im Krankenhaus geblieben, dann bin ich wieder zurück in diese Wohnung voller Ratten. Und ich konnte nicht schlafen, ich hab den Kinderwagen immer auf meinem Schoß gehabt, weil ich Angst hatte, dass die Ratten oder irgendwie die Augen von meiner Tochter oder die Finger fressen könnten; nachts hatte ich immer Angst.

Und dann, die Leute von der Kirche, die haben jemand vom Gesundheitsamt geholt, und dann hat er unsere Wohnung gesehen, hat gesagt: "Nein, in dieser Wohnung darf niemand mit einem kleinen Baby wohnen, das geht gar nicht."

Das war wieder mein Glück, dass ich mein Baby, meine Tochter, hatte. Und dann haben die eine Wohnung gesucht, wo die Deutschen auch mal gewohnt haben, im Erdgeschoss – aber auch die Nachbarn haben gesagt: "Ja, wir wollen keine Ausländer", und: "Wir wollen keine Asylanten", und, also da hat man ja richtig Protest gemacht, aber wir hatten schon die Wohnung.

Das war wieder mein Glück, dass ich mein Baby, meine Tochter, hatte. Und dann haben die eine Wohnung gesucht, wo die Deutschen auch mal gewohnt haben, im Erdgeschoss – aber auch die Nachbarn haben gesagt: Und nach und nach hab ich dann Ausbildung gemacht, hab ich bestanden, und mein Freund auch, hatte auch die Ausbildung gemacht, dieselbe Ausbildung auch als Krankenpfleger, hat er bestanden, und dann hab ich gesagt, wir müssen uns eine ordentliche Wohnung suchen, die wir auch mal bezahlen können.

Du kannst dir mal vorstellen, ich hatte 400 DM und mein Freund auch, als Schüler, 400 DM. Und diese 800 DM hat jemand, eine deutsche Familie, uns einen Trabant uns mal geschenkt. War auch recht für uns, weil wir hatten durch die Geschichte von Jorge Gomondai, der in der Straßenbahn ermordet wurde, hatten wir selber Angst, hatte ich selber Angst, ich sag: "Na ja, wenn ich mal Praktikum mache, zum Spätdienst bis 22 Uhr, ich muss irgendwie nach Hause mit der Straßenbahn" – und dann haben die uns dieses Auto, Trabant, uns gegeben und, ja, und dann sind wir überall dann mit dem Trabi – für uns (lacht) für die Schule oder für nach Hause, wenn ich Spätdienst hatte, dann hat er mich abgeholt, weil ich hatte Angst, mit der Straßenbahn ab 20 Uhr nach Hause zu kommen.

JN: Ja. Ja.

OM: Man ging nach und nach noch mal durch, und so war das gewesen.

JN: Okay. Ja. Hu, das ist eine Biografie mit vielen Wendungen auf jeden Fall, die du hast. Eine Sache – ich will nicht zu sehr drauf eingehen, weil das ist natürlich auch noch mal ein Kapitel für sich – aber genau, diese Zeit nach der Wende: viele beschreiben ja auch schon, dass es vorher schon angefangen hat, dass die Stimmung auf jeden Fall noch mal stark gekippt ist, dass es auf jeden Fall viele rassistische Ausschreitungen gegeben hat. Du hast selber erzählt von diesen Brandanschlägen, dieser Fall, in dem eine mosambikanische Person quasi aus der Straßenbahn – nee, ein Angolaner – aus der Straßenbahn geworfen wurde …

OM: Das war ein Mosambikaner.

JN: Das war ein Mosambikaner?

OM: Jaja, der Jorge Gomondai.

JN: Genau. Genau, also ein sehr starkes Aggressionspotenzial, wenn man's diplomatisch ausdrücken möchte – und gleichzeitig ist die DDR ja sehr lange quasi unter der Flagge aufgetreten von internationaler Solidariät; also, es wurde auch immer von den "Brüderländern" gesprochen.

OM: Ja.

JN: Also, "die mosambikanischen Brüder und Schwestern, die in die DDR kommen", und so was – also, es wurde immer viel Solidarität quasi propagiert, und genau, die DDR hat sich ja auch quasi als der Staat verstanden, der quasi per Staatsverfassung keine Diskriminierung duldet. Aber die Realität hat ja anders ausgesehen.

Deswegen wollte ich dich mal fragen: Wie hat das auf dich gewirkt, dass immer gesprochen wurde von internationaler Solidarität, und die Realität war aber anders? – also, was hat das quasi/ was sind deine Gedanken dazu?

OM: Also, meine Gedanken: Als wir kamen, '96, und eine Woche, wir sind dann ein bisschen so auf die Straße, kamen viele Jugendliche aus unserm Alter, und Kinder auch, die wollten unbedingt mit uns spielen. Ja, die wollten uns mal hier anfassen, die hatten noch keine Afrikaner gesehen, die wollten unbedingt mit uns spielen, zwei, drei Tage, und dann haben sie gesagt: "Darf ich mich vorstellen? Ich bin Rico, ich heiße Rico", und so, "Ich bin Mario", und so ähnlich, und ja, und ich weiß, dass wir zwei oder drei Tage, ja, eine Woche später ungefähr, die sind dann nicht mehr gekommen.

Und selbst wenn wir dann auf der Straße getroffen, sagen: "Ey Rico", nur so ein Hallo, haben dann die Kinder nicht mehr geantwortet, die Jugendlichen. Ich weiß nicht, was sich dann abgespielt hat in ihren Familien. Ich kann mir gut vorstellen, da ist dann verboten worden, mit uns dann zu spielen oder mit uns zu reden.

JN: Wann war diese Situation?

OM: Das war/ also, als wir kamen, eine Woche später gibt's viele Jugendliche, die mit uns mal Kontakt haben wollten, und da haben sie sich mal vorgestellt, "Ich heiße Rico", "Ich heiße Mario", und dann "Ich heiße Markus", und so ähnlich, und da hab ich auch meinen Namen gesagt, und da hat jeder mit seinem Namen sich vorgestellt, und die kamen immer vor den Betrieb, da gab's so eine Mauer dort, wir sind immer rausgekommen und dann wollten die unbedingt mit uns Kontakt haben – vielleicht/ genau so.

Aber zwei Wochen später sind sie nicht mehr gekommen. Und wenn wir mal rausgegangen sind, haben wir diese Jugendliche noch mal gesehen, sagen: "Hallo Rico" oder "Hallo Markus" – haben die so reagiert, als ob die uns niemals im Leben mal gesehen haben. Ich kann mir vorstellen, dass ihre Familie, ihre Eltern ihnen verboten haben, dass sie nicht mehr mit uns spielen sollen, so, oder mit uns unterhalten oder einen Kontakt mit uns aufzunehmen.

JN: Hm-hm. Verstehe. Okay. Aber das heißt, dieses Gefühl von inter/ also, das, was propagiert wurde, so internationale Solidarität//

OM: Ja, das war nicht wahr, das ist nicht wahr.

JN: Okay.

OM: Gab viele sehr/ ich selber so, als ich kam, wo ich mal gesehen habe, was für eine Arbeit ich machen musste, ich hab gesagt: "Ich will lieber nach Hause. Ich bleib nicht hier." So, dass ich dann, ja, hab ich/ das war so, wenn du fünf Fehler pro Schicht gemacht hast, haben die dich nach Hause/ rausgeschmissen, also neues Ticket gekauft, nach Hause – aber wahrscheinlich waren es viele Leute, die das gemacht haben, und dann hat die Regierung festgestellt, dass die einen großen Verlust an Menschen und auch, sag mal, auch an Geld, weil Flugzeug war nicht umsonst – und ich hab das gleich gemacht, eine Woche hab ich nicht gearbeitet, zwei Wochen, ich war nur im Internat, in der Hoffnung, dass die in der nächsten Woche mich ja nach Hause zurückschicken.

Die haben mir dann kein Gehalt mehr gezahlt, bis ich dann wieder Hunger hatte, ich sag: Nee, da muss ich mal doch arbeiten gehen – ich hatte keine andere Wahl. Niemand hat mit mir gesprochen, dass ich/ "Du bist schon zwei Wochen, drei Wochen nicht mehr auf die Arbeit gegangen, du wirst nach Mosambik zurückgehen" – da hätte ich mich sehr gefreut, weil das ist genau, was ich wollte.

Aber nein, die haben mir kein Gehalt mehr gezahlt, bis ich gesagt habe: "Na ja, ich kann nicht anfangen, hier zu betteln, damit ich mal was essen kann, ich muss mal arbeiten gehen" – so war das gewesen. Bis zu den letzten Tagen, wo ich dort war.

JN: Das, genau, hast du ja auch schon im Vorgespräch erzählt gehabt, dass das quasi am Anfang eine Strategie war, die die Leute gewählt haben: Einfach nicht arbeiten, und dann wird man wieder zurückgeschickt – aber bei dir hat's nicht mehr funktioniert.

OM: Genau.

JN: Ja, und dann hab ich grade gedacht, vor dem Hintergrund von: dass die DDR sich ja selber verstanden hat als ein, ja, "entwicklungspolitischer Akteur", in Anführungszeichen, dass sie gesagt haben "Hier bei uns in der DDR können sie dann was lernen, was sie in ihren Ländern dann verwenden können" – und dann sagst du aber jetzt für dich: Nee, so ist das überhaupt gar nicht gewesen. Diese Logik stimmt überhaupt gar nicht.

OM: Ja.

JN: Es gibt nicht viel, was du jetzt, zumindest im Ausbildungskontext, in der DDR lernen konntest.

OM: Und weiß ich nicht, ob jemand in Mosambik bis heute arbeitet, was er in der DDR überhaupt gelernt hat. Ich kenn keinen. Vielleicht gibt's die ja, aber ich kenn keinen.

JN: Wäre spannend herauszufinden, weil ich meine, diese Form von Industrie, wie sie die in der DDR gegeben hat, die hat's ja auch in Mosambik nicht gegeben, das heißt, das war gar nicht so aufeinander abgestimmt. Okay. Ich danke dir, Olga, für dieses Gespräch. Auf jeden Fall sehr spannend. Ich hab ja jetzt – wir konnten – also, ich hab ja jetzt quasi mit einer Zeitzeugin gesprochen.

OM: Danke, danke.

JN: Ich fand's wirklich sehr, sehr interessant und ich bedanke mich und ich wünsche dir noch einen schönen Abend. Tschüss.

OM: Vielen Dank, dankeschön auch für das Gespräch und dich kennenzulernen. Danke, tschüss.

JN: Tschau.

OM: Tschau.

JN: Das war Telling Our Stories. Erzählte Geschichte.

JN: Ein digitales Ausstellungsprojekt der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland.

Konzept: Jeanne Nzakizabandi

Webdesign: Studio Abo

Produktion: Géneviève Lassey

Recherche: Merle Kondua

Recherche: Gefördert von der Stiftung Erinnerung Verantwortung und Zunkunft

Im Rahmen von: Wie wir erinnern. Plurale Erzählungen, kollektive Geschichten,

Im Rahmen von: gemeinsame Wege.

Im Rahmen von: Mehr Infos findet ihr unter www.tellingourstories.de

Im Rahmen von: (Musik-Outro)

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