Folge 7: Auf Spurensuche. Schwarz-feministische Bewegungen

Shownotes

Im Gespräch mit Natasha Kelly geht es um jüngere Schwarze Bewegungsgeschichte und Theoriebildung. Insbesondere das Werk „Farbe bekennen“ (Herausgegeben von May Ayim, Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz) wird in dieser Folge nochmal unter die Lupe genommen und wir stellen die Frage: Was können wir heute noch aus dieser so wichtigen Anthologie lernen?

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NK: Und eines Tages kam mein Deutschlehrer mit "Farbe bekennen" und hatte mich dann nach dem Unterricht zu sich gerufen und sagte so: "Hier ist ein Buch, das möchte ich, dass du das liest" – und ich hab überhaupt nicht verstanden, warum ich das Buch lesen sollte; ich hab das tatsächlich damals als Strafe, als Zusatzarbeit empfunden, und erst im Nachhinein, wirklich sehr viele Jahre später, verstanden, dass er mich natürlich mit diesem Buch empowern wollte, mir eine Identität geben wollte. Grade so siebte, achte Klasse sind wir ja immer so auf Identitätssuche, und ich war damit sehr alleinegelassen und hab das abgelehnt.

NK: (Musik-Intro)

JN: Herzlich willkommen zur siebten und damit auch schon der letzten Folge von "Telling our Storys – Erzählte Geschichte". Der Podcast zur gleichnamigen digitalen Ausstellung ist ein Podcast, in dem es vor allem um das Thema Schwarze deutsche Geschichte geht und dabei auch noch mal einen engeren Fokus legt auf Migrationsbewegungen. Es handelt sich insgesamt um ein Projekt der Initiative Schwarze Menschen, kurz ISD. Mein Name ist Jeanne Nzakizabandi und ich arbeite als Kuratorin, politische Referentin und Host dieses Podcasts.

JN: Dieser Podcast möchte vor allem Schwarze Menschen beziehungsweise afrodiasporische Menschen ansprechen; ihr Erleben und ihre Erfahrungen stehen hier im Fokus. Das heißt natürlich nicht, dass sich auch alle anderen, die sich auch für Schwarze deutsche Geschichte interessieren, nicht diesen Podcast oder die Ausstellung anschauen können.

JN: Wir haben uns in den letzten Folgen jetzt insgesamt eine Zeitspanne von fast hundert Jahren angeschaut, beginnend mit der Epoche des Kolonialismus, und enden heute mit einem Blick auf die 80er Jahre. Es ist natürlich klar, dass sich Schwarze deutsche Geschichte nicht in diesen wenigen Podcastfolgen abbilden lassen kann – aber der Anspruch war ja auch von Anfang an, dass wir hier und da so ein paar Schlaglichter werfen wollen und dass meine Gäste hier eher intuitiv und erfahrungsbasiert über verschiedenste Dinge mit mir sprechen.

JN: Deswegen würde ich an dieser Stelle auch noch mal auf die digitale Ausstellung verweisen – dort werden Inhalte des Podcasts teilweise noch mal vertieft, ihr findet dort weitere Audios, historische Dokumente und vor allem einiges an Fotografien. Außerdem ist sie auch visuell recht ansprechend, wenn ich das so sagen kann.

Aber, genau: Worum wird es in dieser letzten Folge heute gehen? In dieser letzten Folge wollen wir uns die 80er Jahre noch mal genauer anschauen und ganz explizit das Feld "Schwarze feministische Bewegungsgeschichte und auch Theoriebildung" – wir werden darüber sprechen, über das Erscheinen von "Farbe bekennen", über die Aktivistin und Dichterin May Ayim, über US-amerikanische Einflüsse und auch über das, was als Nächstes passieren sollte beziehungsweise was wir uns wünschen.

Aber, genau: Aber zuerst, so wie immer, ein letztes Mal ein historischer Überblick – in was für einer Zeit befinden wir uns, was sind die Ereignisse, die uns für diese Folge interessieren?

Aber, genau: Da ist ganz klar das Erscheinen von "Farbe bekennen – Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte" – das ist im Jahr 1986 erschienen und wird häufig als Marker für den Beginn jüngerer Schwarzer Bewegungsgeschichte genutzt.

Aber, genau: Mit "Farbe bekennen" erschien ein Sammelband, in dem erstmals darüber gesprochen wurde, was es heißt, als Schwarze Person in Deutschland nach '45 geboren zu sein. An diesem Buchprojekt waren sowohl west- als auch ostdeutsche Frauen beteiligt; das finde ich wichtig zu nennen, weil zu dem Zeitpunkt stand die Mauer ja noch. Es ist ein Buch, in dem historische Aufarbeitung stattfindet, aber auch persönliche Erfahrungsberichte ihren Platz haben. Es geht um Deutschlands koloniale Vergangenheit, aber auch um den Rassismus und Sexismus, den Schwarze Frauen nach '45 in Deutschland erleben. Damit ist das Buch eins, das aus der Perspektive des intersektionalen Feminismus argumentiert – find ich auch wichtig zu nennen, denn den Begriff von Intersektionalität gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht. Herausgegeben wurde das Buch von May Ayim, Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz. May Ayim, die mit bürgerlichem Namen Sylvia Brigitte Gertrud Opitz hieß, erarbeitete mit ihrer Diplomarbeit die Grundlage für dieses Werk. Mit der Unterstützung von Audre Lorde, die für eine Gastprofessur in den 80ern nach Berlin gekommen war, begeben sich die Frauen um May Ayim herum wortwörtlich "auf die Spurensuche Schwarzer deutscher Geschichte".

Aber, genau: An der Stelle vielleicht auch noch mal einen Reminder oder einen Hinweis, noch mal auch in Folge 4 zu schauen, denn da ist das Thema NS und da hatten wir auch die Thematik, dass der NS insofern auch einen Bruch dargestellt hat, als dass einfach unglaublich viel Wissen über Schwarze Geschichte verlorengegangen ist; also alles, was bis dato schon passiert war. Wir hatten's ja auch vom Afrikanischen Hilfsverein – das ist einfach Wissen, das verschüttet gegangen ist.

Und nach dem NS, also nach '45, wurden vor allem junge Schwarze Menschen als "Besatzungskinder" markiert, also auch wieder diese sehr starke Fremdmarkierung, das heißt, Menschen, die afroamerikanische Besatzungssoldaten als Väter hatten, sind eben als "Besatzungskinder" markiert worden, wobei man sagen muss: "Besatzungskinder" könnte man theoretisch auch die Kinder nennen, die einfach weiße amerikanische Besatzungssoldaten als Eltern hatten – da hat's aber diese Markierung eben nicht so stark gegeben, zumindest nicht im Visuellen; das heißt, es hat vor allem Schwarze Kinder getroffen.

Und nach dem NS, also nach '45, wurden vor allem junge Schwarze Menschen als "Besatzungskinder" markiert, also auch wieder diese sehr starke Fremdmarkierung, das heißt, Menschen, die afroamerikanische Besatzungssoldaten als Väter hatten, sind eben als "Besatzungskinder" markiert worden, wobei man sagen muss: Gerade in den 50ern wurde dann nämlich auf Regierungsebene auch über diese Kinder heftig diskutiert, und nicht wenige von ihnen wurden zur Adoption freigegeben und wurden in die segregierten USA gebracht. Die Autorinnen, die in "Farbe bekennen" zusammenkommen, haben teilweise diese Erfahrung gemacht, haben die Erfahrung gemacht, als "Besatzungskind" bezeichnet worden zu sein, andere haben eine Familiengeschichte, die seit Generationen mit Deutschland verwoben ist, viele sind in einem Heim großgeworden und haben ihre Eltern nie kennengelernt.

Die Vorlesungen von Audre Lorde, die Gespräche mit ihr und den anderen Schwarzen Frauen untereinander weckte letzten Endes das starke Bedürfnis nach: Vereinzelung, die eben tagtäglicher Begleiter Schwarzer Menschen in Deutschland war und vielerorts auch noch ist, etwas entgegenzusetzen.

Die Vorlesungen von Audre Lorde, die Gespräche mit ihr und den anderen Schwarzen Frauen untereinander weckte letzten Endes das starke Bedürfnis nach: Wenige Jahre nach dem Erscheinen von "Farbe bekennen" gründete sich die ISD und ADEFRA, ein kulturpolitischer Verein für afrodeutsche Frauen. Es ist natürlich auffällig, dass diese Bewegungen sehr stark von Frauen beziehungsweise weiblich markierten Personen getragen wurden, und genau das wollen wir uns noch mal genauer anschauen und noch mal nachhaken, welche Rolle hatten Schwarzfeministische Theorien in den 80er Jahren Deutschlands?

Die Vorlesungen von Audre Lorde, die Gespräche mit ihr und den anderen Schwarzen Frauen untereinander weckte letzten Endes das starke Bedürfnis nach: Und ich freue mich sehr, dass ich auch heute wieder eine sehr spannende Gästin für diese Folge gefunden habe – heute ist nämlich Natasha Kelly.

Die Vorlesungen von Audre Lorde, die Gespräche mit ihr und den anderen Schwarzen Frauen untereinander weckte letzten Endes das starke Bedürfnis nach: (Musik)

JN: Hallo Natasha.

NK: Hallo.

JN: Hi. Magst du dich als Erstes kurz selber vorstellen?

NK: Ja, sehr gerne. Also, ich bin Wissenschaftlerin, Autorin, Kuratorin und Künstlerin und ich bin promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin, und obwohl ich in so unterschiedlichen Bereichen unterwegs bin, also akademisch und nicht-akademisch, künstlerisch und nicht-künstlerisch, arbeite ich immer zum selben Thema, nämlich zur deutschen Geschichte.

JN: Genau, deswegen passt das auch sehr gut – ich würd direkt einsteigen und quasi noch mal in der Historie auch bleiben, beziehungsweise in den 80er Jahren und bei "Farbe bekennen". Bei mir ist es so gewesen, ich hatte schon unglaublich viel vorher über das Buch gehört, bevor ich's dann tatsächlich das erste Mal in der Hand hatte. Wie war's bei dir, in welchem Kontext bist du das erste Mal auf "Farbe bekennen" gestoßen?

NK: Ja, das ist eine kleine Anekdote tatsächlich, und zwar war ich damals in der achten Klasse, als "Farbe bekennen" erschien, und ich bin in einem kleinen Dorf in Norddeutschland großgeworden und war auch das einzige Schwarze Kind in meiner Schule, in meiner Klasse und war tatsächlich dem Alltagsrassismus ausgesetzt – was damals noch keinen Namen hatte. Also, ich würde wirklich sagen, ich hab Rassismus erlebt, ohne es benennen zu können. Es gab/ in der Schule war meine Strategie damals immer, dem Ganzen irgendwie zu ignorieren, so weit es geht aus dem Weg zu gehen – und eines Tages kam mein Deutschlehrer mit "Farbe bekennen" und hatte mich dann nach dem Unterricht zu sich gerufen und sagte so: "Hier ist ein Buch, das möchte ich, dass du das liest" – und ich hab überhaupt nicht verstanden, warum ich das Buch lesen sollte; ich hab das tatsächlich damals als Strafe, als Zusatzarbeit empfunden, und erst im Nachhinein, wirklich sehr viele Jahre später, verstanden, dass er mich natürlich mit diesem Buch empowern wollte, mir eine Identität geben wollte. Grade so siebte, achte Klasse sind wir ja immer so auf Identitätssuche, und ich war damit sehr alleinegelassen und hab das abgelehnt.

NK: Ich hab das nicht gelesen. Ich hab mich auch//

JN: Oh.

NK: Ja. Also, da denk ich auch, hätte ich das mal gemacht – und er hat dann damals zu mir gesagt: Ja, das Buch ist da, wenn ich mich doch umentscheiden würde oder sollte, sollte ich auf ihn zukommen. Und das hab ich nie gemacht, was ich heute stark bereue, muss ich ganz ehrlich sagen.

Und dann habe ich ungefähr zehn Jahre später, als ich dann im Studium war – ich hab ja, wie gesagt, Kommunikationswissenschaft, Soziologie, aber damals auch noch Englische Philologie studiert in Münster; und das ist Amerikanistik, Anglistik zugleich, ja – und bin dort auf Audre Lorde gestoßen und habe auch über Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland meine allererste Hausarbeit geschrieben; das weiß ich noch, die war ganz furchtbar, also die hab ich wiedergefunden und hab mich gefragt: "Oh mein Gott, was hast du da gemacht?" – ja? Also, da hätte ich niemals irgendwie erträumen können, dass ich irgendwann mal Professorin werde und selber unterrichte.

Und dann habe ich ungefähr zehn Jahre später, als ich dann im Studium war – ich hab ja, wie gesagt, Kommunikationswissenschaft, Soziologie, aber damals auch noch Englische Philologie studiert in Münster; und das ist Amerikanistik, Anglistik zugleich, ja – und bin dort auf Audre Lorde gestoßen und habe auch über Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland meine allererste Hausarbeit geschrieben; das weiß ich noch, die war ganz furchtbar, also die hab ich wiedergefunden und hab mich gefragt: Und im Rahmen von meiner Recherche für diese Arbeit bin ich dann das zweite Mal auf "Farbe bekennen" gestoßen und hatte einen ganz anderen Bezug zu dem Buch und hab's dann auch das erste Mal gelesen. Ne, also das war dann Ende der 90er ungefähr, Mitte, Ende der 90er Jahre. Und damit hat sich eine ganz neue Welt für mich aufgetan, und seitdem beschäftige ich mich mit Schwarzer deutscher Geschichte. Ich hab nie aufgehört. Ja.

JN: Hm-hm. Das ist ja spannend. Ich überleg grad, hätte ich's gelesen in der siebten, achten Klasse? – vermutlich nicht. Es ist ja auch eine Zeit, in der man einfach sein will wie alle andern.

NK: Ganz genau. Ganz genau. Und ich hab das wirklich als Strafe empfunden, ne, also diese Zusatzarbeit. Und ich war, muss ich auch gestehen, immer ein sehr lebhaftes Kind – ich bin ja eine eher sehr extrovertierte Person, und damals noch mehr, ja, und hab das nicht verstanden. Ja, ich hab das nicht verstanden, warum ich dann als Einzige dieses Buch lesen sollte – vielleicht hätte es tatsächlich auch geholfen, wenn wir als gesamte Klasse oder im Klassenverband das gelesen hätten.

JN: Das stimmt.

NK: Ja? Und so war ich dann wieder so ein bisschen singled-out; und ich glaub, das war das, was ich ja ohnehin schon war, und es deshalb abgelehnt habe. Aber jetzt, rückblickend muss ich sagen: Ich hätte es lesen sollen – also, das hätte mir schon sehr viel früher das Leben vereinfacht, auf jeden Fall.

JN: Ja, auch Chapeau an den Lehrer, dass er da gedacht hat: Ich hab da eine, der könnte es vielleicht gefallen – aber ich seh's wie du, es hätte vielleicht die ganze Klasse lesen sollen, und da wiederum ist es dann wahrscheinlich so gewesen: Der Lehrplan hat's nicht hergegeben.

NK: Ganz genau. Und in den 80ern schon gar nicht.

JN: In den 80ern schon mal gar nicht, genau. Das Erscheinen von "Farbe bekennen" steht ja schon sehr im Fokus, wenn's so um jüngere Schwarze Bewegungsgeschichte geht, deswegen wollte ich dich fragen: Gibt es weitere Ereignisse, die in der Zeit oder drumherum für dich wichtig zu nennen wären?

NK: Ja, auf jeden Fall – also, ich würde sagen, dass "Farbe bekennen" zu einer aufstrebenden Literaturbewegung gehörte, die ich heute auch wirklich als afrodeutsche Literaturgenre auch bezeichnen würde, wo natürlich viel nachgekommen ist; ein paar Jahre später kam ja dann auch das Buch von Katharina Oguntoye, eine Art Familiengeschichte, wo sie wirklich die Archive erforscht hat und sehr viel auch über die Familie Diek, die ja irgendwie in fünf, sechs Generationen in Deutschland war, erzählt, berichtet – aber es gab auch eine starke Musikszene damals, das find ich auch ganz wichtig zu erzählen; dass parallel zu der Literaturbewegung – und dazu kommen wir ja gleich – wo primär Frauen aktiv waren, gab es eine starke Hip-Hop-Bewegung, eine starke Musikbewegung, wo dann eben der Hip-Hop nach Deutschland rüberkam, und auch für mich ein Lebensretter war, weil es war dann plötzlich cool, Schwarz zu sein – das muss man ja auch dazusagen, ne, Basketball kam, Hip-Hop kam und jeder wollte dein Freund sein und so. (lacht)

JN: (lacht)

NK: Und es kam dann auch die deutschsprachige Hip-Hop-Bewegung mit "Advanced Chemistry", das war ziemlich zeitgleich. Und '92 kam dann ja auch ihr großer Hit mit "Fremd im eigenen Land", was heute auch immer noch in diesem Kontext oft erwähnt, oft rezipiert wird; was ich auch super wichtig finde.

NK: Und aber auch andere, also es gab auch englischsprachige Geschichten von "Weep Not, Child", die auch schon auf die gesellschaftliche Situation von Schwarzen Menschen in Deutschland aufmerksam gemacht haben – aber ich glaube, tatsächlich erst mit dem deutschsprachigen Hip-Hop hatten wir sozusagen noch so einen Parallelstrang zu der Literatur, was wirklich daran anschließt und wo wir tatsächlich noch mal über einen anderen Kanal oder über, ja, durch ein anderes Medium unsere Identität auch artikulieren konnten, ne?

JN: Ja.

NK: Was daraus folgte, waren ja dann Projekte wie beispielsweise "Brothers Keepers", was dann in den frühen 2000er kam – als Alberto Adriano in Dessau ermordet wurde, haben sich ja ganz viele Schwarze Künstler und Künstlerinnen zusammengetan und "Brothers Keepers/Sisters Keepers" gegründet, da kam dann das Album "Lightkultur", "Adriano (Letzte Warnung)", wo Xavier Naidoo, Samy Deluxe, Adé Bantu mitgewirkt haben, und das war auch ein sehr wichtiger Moment, glaube ich, also ein politischer Moment, weil wir Öffentlichkeit für diese Themen geschaffen haben.

NK: Aber ich glaube, was der Unterschied damals war – also, das ist heute immer noch so, aber damals war's wirklich ganz extrem – dass nicht wirklich zwischen Rassismus und Rechtsextremismus unterschieden wurde. Also, Rassismus wurde sehr stark in diese rechte verlauste Ecke gesucht und weniger als – also, noch weniger – als strukturelles Problem beleuchtet. Und das war, glaub ich, was, was diese Zeit so ein bisschen gekennzeichnet hat.

NK: Und eine dritte Bewegung, die ich sehr wichtig finde, aus der Zeit tatsächlich war auch die Kunstbewegung – aber die hat nicht so Fuß gefasst wie die Literatur- und wie die Musikbewegung. Die war irgendwie immer sehr unterschwellig.

JN: Ich hab da nämlich auch direkt noch mal dran gedacht, dass ich auch ein Fernsehinterview mit May Ayim gesehen hab, und Katharina Oguntoye war auch da, wo sie auch noch mal drüber gesprochen haben, dass sich das Buch eigentlich nicht so wahnsinnig gut verkauft hat – ich hab das jetzt nicht noch mal gegengecheckt, aber es hat sich zu dem Zeitpunkt nicht so gut verkauft; es wurde trotzdem viel darüber gesprochen, weil Autor*innen und Herausgeber*innen viel in Fernsehsendungen gewesen sind zu dem Zeitpunkt, aber eigentlich so die Zielgruppe, die dann ja auch – also, vor allem die Zielgruppe, die dann Schwarze Personen gewesen wären in Deutschland – konnten sich das Buch nicht unbedingt leisten, und dann ist natürlich Musik, die überall im Radio läuft, die im Fernsehen läuft, noch mal viel barrierearmer, muss man einfach sagen.

NK: Absolut. Absolut. Deswegen finde ich das auch wichtig, das zu erwähnen – wobei: es war ja auch die Zeit, ich meine, alles, was wir ja, wir Schwarze, machen, wird ja auch vereinnahmt schnell, im Musikbereich, und das war damals auch so – also, als der Hip-Hop nach Deutschland kam, das waren ja erst mal die großen US-Artists, dann kamen ja so die Schwarzen deutschen Stimmen, aber die waren auch/ wurden auch oft überhört; also, ich würde nicht sagen, dass sie unbedingt zum Mainstream gehört haben. Da waren ja dann Gruppen so wie "Die Fantastischen Vier".

JN: Ja.

NK: Genau, die dann so einen Popkulturstatus im Hip-Hop-Bereich bekommen haben und ich finde auch, die politische Botschaft oder die gesamte Kultur, die Hip-Hop ja darstellt, total überschattet haben auch. Ne, also es ist ja eigentlich eine Bewegung gewesen, wo sehr viel Graffiti zu gehört, das – wie heißt das? – Breakdance, das war so eine Zeit, wo wir irgendwie extrem diese US-Amerikaner auch total kopiert haben in dem, was wir gemacht haben.

NK: Bis dann tatsächlich der deutschsprachige Hip-Hop kam, würd ich sagen, und es eine eigene Note gekriegt hat; das so einen eigenen Ausdruck auch bekam – was vielleicht schon als eigene Schwarze deutsche Ästhetik auch beschrieben werden kann.

JN: Ja, ich geb dir natürlich recht, also kommerziell erfolgreich waren dann so wie "Fantastische Vier", wie du grade gesagt hast – aber trotzdem, für mich hängengeblieben ist eher so ein Song wie "Fremd im eigenen Land" und weniger – ich weiß noch nicht mal, wie ein Titel von einem "Fanta 4"-Song, aber so (lacht)

NK: (lacht) Ich hab einen im Kopf, aber ich lass es jetzt lieber.

JN: Lassen wir.

NK: Ja.

JN: Genau, ich hab's in der Anmoderation ja auch schon quasi angeteasert, dass es ja einfach auffällt, dass es Bewegungen sind, die stark von Frauen, von weiblich markierten Personen getragen wurden – ich will gar nicht sagen, dass keine Männer mit dabei gewesen sind, aber mehrheitlich eben nicht; und deswegen würd ich gern noch mal auf das Thema auch dann "Theorieproduktion" zu sprechen kommen, also im Endeffekt: "Farbe bekennen" ist Theorieproduktion, und du hast eben eins der ersten Grundlagenwerke im Sujet "Schwarzer Feminismus" in Deutschland herausgebracht; das Buch heißt auch ganz simpel "Schwarzer Feminismus" – und was würdest du sagen, wie reiht sich das quasi ein in Schwarzfeministische Theorieproduktion, also vielleicht: Wann ist das erschienen und wie reiht es sich ein?

NK: Also, zuerst muss ich sagen, kann ich die Props nicht annehmen, weil es war nicht das erste Buch.

JN: Okay.

NK: Also, überhaupt nicht – das möchte ich wirklich betonen, dass es davor auch ein Buch gab mit selbigem Titel tatsächlich, "Schwarzer Feminismus", und es hatte aber einen anderen Untertitel – sorry, krieg ich jetzt nicht zusammen – aber das war herausgegeben von Gloria Joseph, die Partnerin von Audre Lorde, die damalige Partnerin von Audre Lorde.

NK: Und sie hatte auch mit Übersetzungen gearbeitet, und ich glaube aber, dass der Unterschied war, dass das sehr fokussiert war, diese Übersetzungen, den US-amerikanischen Kontext widerzuspiegeln. Und was sich dann eben stark von dem Buch unterscheidet, was ich später herausgegeben habe, weil mir war das da wichtig mit dem Buch, die Intersektionalitätsdebatte anschlussfähig zu machen.

NK: Weil wir waren ja grade – es ist ja 2019 erschienen – wir waren in einer Zeit, feministisch gesehen, wo dann auch wieder die weiße feministische Bewegung mit unseren Konzepten wieder abhauen wollte, also so ganz plump, ne?

JN: Man kennt's.

NK: Unter anderem auch tatsächlich Intersektionalität ist so ein Buzzword geworden, aber wurde immer von seinem Ursprungskontext, nämlich dem Schwarzen Feminismus, abgekoppelt. Und um dem entgegenzuwirken, hab ich gesagt: Nee, es reicht jetzt, Leute, lasst uns bitte unsere Tools, weil wir werden meistens irgendwie/ werden diese Tools vereinnahmt und am Ende werden wir aus diesen Diskursen rausgeschrieben, wir werden/ auch politisch, haben dann keine Teilhabe, weil die Sachen dann sozusagen "wandern" gehen, ja?

NK: Und das war sozusagen, als ich das Buch herausgegeben hab, war das auch der Versuch, diesem entgegenzuwirken; weil die Texte, die ich dann ausgesucht habe, angefangen von Sojourner Truth, 1851, bis Kimberlé Crenshaw, zeigen, wie die Intersektionalitätsdebatte sich eben in der Schwarzen feministischen Bewegung und in Schwarze feministische Theorietradition auch einbetten lässt.

Und das war auch das Ziel des Buches, zu sagen: Ihr könnt keine Intersektionalitätsdebatten ohne Schwarze Feministinnen führen; auch in Deutschland nicht. Also, das geht nicht. Und das war für mich extrem wichtig, und es schließt dann eben tatsächlich da an, und wie du schon sagst: "Farbe bekennen" ist für mich auch ganz klar Schwarze feministische Theorie, wo ja auch ausschließlich Schwarze Frauen zu Wort kommen – aber auch meine Folgearbeiten, die sehe ich auch alle in dieser Tradition, aber auch die Arbeiten der ADEFRA-Frauen wie zum Beispiel Peggy Piesches Buch zum 25-jährigen Jubiläum von Audre Lorde/ das sind auch so Bücher, die noch vorher erschienen sind – ich glaub, das Buch kam 2012 – die ich auch in dieser Theorietradition sehe.

Und das war auch das Ziel des Buches, zu sagen: Also, ich muss mich wirklich davon distanzieren, jemals die Erste für irgendwas gewesen zu sein – absolut nicht. Sondern respektiere alle Frauen, die vor mir gekommen sind, auf dessen Schultern ich stehe und die überhaupt diesen Weg für mich geebnet haben, diese Dinge zu machen; und auch fortzuführen, also ich sehe wirklich das als Fortführung dessen.

JN: Ja, gut, dass du mich da auf jeden Fall noch mal korrigierst – nur, ich hatte das so in Erinnerung, dass ich bei dir zum ersten Mal so ein Grundlagenwerk einfach gefunden hab, wo so die Basics noch mal da sind.

JN: Genau, und hab mich dann aber auch zu dem Zeitpunkt schon ein bisschen gefragt, warum du so die Entscheidung getroffen hast – also, du hast es natürlich grade auch schon ein bisschen erklärt, eben, es sind hauptsächlich US-amerikanische Texte, die du übersetzt hast und nicht noch mal, ja, deutsche Autor*innen zu finden, die eben auch genau zu den Themen arbeiten.

NK: Genau, also das hängt da tatsächlich mit der Intersektionalitätsdebatte zusammen, weil das wirklich das Ziel war: Reclaim Intersectionality – das ist/ also, ich sag's, wie's ist.

NK: Und ich würd das gar nicht jetzt irgendwie in so einem nationalen Kontext sehen, sondern wie Audre Lorde eigentlich immer propagiert hat, uns als Deutsche, als Teil der Diaspora zu verstehen. Dass wir, dass unsere Debatten, grade Schwarze feministische Debatten, an den Debatten anderer Schwarzer Feministinnen in der Diaspora anschließen.

Und so möchte ich eigentlich das Buch situiert wissen auch, also dass es weniger darum geht, jetzt zu sagen: Ah, das sind US-amerikanische Autorinnen – und mehr zu verstehen: Das sind Autorinnen der Diaspora. Weil dann macht uns das wieder zu einer Gemeinschaft auch und nicht über die Kategorie "Nation", was ja sowieso, wie ich finde, sehr problematisch ist, auch historisch betrachtet, wo Rasse und Nation immer auf Engste verstrickt waren in diesem Land, ja?

Und so möchte ich eigentlich das Buch situiert wissen auch, also dass es weniger darum geht, jetzt zu sagen: Aber ich nehme auch die Kritik an tatsächlich, und deswegen schreib ich grad mein neues Buch (lacht)

JN: (lacht)

NK: wo es um – also, ich fühlte mich sofort herausgefordert, ich so: Ja, nehm ich an – und schreibe grade ein Buch, wo es eben um Schwarze Feministinnen im deutschsprachigen Raum geht.

NK: Ich bin wirklich grade dabei, das zu schreiben – es ist interessant, wie biografisch es wird; das war überhaupt nicht meine Absicht, aber es geht wirklich darum aufzuzeigen, dass es, auch wenn wir andere/ also, wir können die US-Amerikanerinnen nie ganz weglassen, also das ist tatsächlich, was mir jetzt beim Schreiben auch auffällt, dass es diese diasporische Verbindung immer schon gegeben hat; also wirklich zurück zu, ja, 1900, wo eine Mary Church Terrell aus den USA hier in Deutschland war und auf dem Frauenkongress gesprochen hat, "Race, Class, and Gender" damals schon in die feministische Debatte eingeführt hat, das ist, also, so weit reichen diese transnationalen Beziehungen zurück, ja?

NK: Aber nichtsdestotrotz gab es schon immer Schwarze Frauen im deutschsprachigen Raum, die politisch aktiv waren. Und das versuche ich jetzt mit diesem neuen Buch eben genau in diese Leerstelle, die ich ungewollt geschaffen habe sozusagen, raufzugehen und die zu füllen.

JN: Okay, gut zu wissen, dass da noch was kommt. (lacht)

NK: (lacht) Ja, auf jeden Fall, ich bin nicht müde. Wenn ich tot bin, dann hör ich auf. (lacht)

JN: Okay. Wo ich jetzt grade noch mal aufgehorcht hab oder gedacht hab: Aha, das macht für mich auf jeden Fall sehr viel Sinn – ist: eben tatsächlich mehr den Blick auf die Diaspora zu setzen und weniger das, genau das, was du grade eben gesagt hast, mehr das Verständnis von Diaspora zu haben und weniger das Verständnis von: Es gibt Nationen und die einen beeinflussen die anderen.

Also, ich glaube, man muss natürlich trotzdem weiterhin darüber nachdenken: Was wird vielleicht tatsächlich eher aus einem US-amerikanischen Diskurs importiert und wie übersetzen wir das für unseren Kontext? – das muss man trotzdem, glaub ich, jedes Mal aufs Neue sich fragen.

NK: Absolut, ja.

JN: Genau, das Konzept von Intersektionalität lässt sich aber, glaub ich, ganz gut übersetzen.

N: Absolut. Und ich muss auch dazusagen, auch nur für die Vollständigkeit: Ich hab das Buch natürlich nicht alleine übersetzt, sondern wir haben auch mit/ von Schwarzen Frauen zusammengearbeitet, alle unterschiedlich positioniert, queere Frauen, Cis-Frauen, also alle waren irgendwie vertreten, also natürlich nicht "alle", weil alle gibt's ja nie, aber es war eine Gruppe von/ und eine intersektionale Gruppe von Schwarzen Frauen tatsächlich, und ich bin ja gelernte Übersetzerin und habe dann im Prinzip diese Übersetzungen korrigiert und angeleitet, also nur zur/ also, dass ich nicht alleine diese Übersetzungen gemacht hab.

N: Das find ich halt auch wichtig, weil grade im Kontext des Schwarzen Feminismus hätte ich das auch nicht alleine machen dürfen – so. Das find ich auch also politisch eben auch ganz wichtig. Und ich gebe dir völlig recht, dass es wichtig ist, auch zu verstehen, dass nicht alles eins zu eins übersetzbar ist, ne, also dass wir tatsächlich das Übersetzen weniger als dieses Wort-für-Wort verstehen müssen, sondern die Anwendbarkeit und diese/ das Übersetzen als Prozess ja auch verstehen müssen, ne, also die Texte, die haben ja eine Debatte angestoßen, und diese Debatte hält ja noch an.

Und es war eben super wichtig, die Entwicklung dieser Debatte bei dem Übersetzen in den Blick zu nehmen; das ist etwas – ohne dir deine nächste Frage vorwegnehmen zu wollen – aber das ist genau das, was wir als feministisches Handeln verstehen: dass eine Sojourner Truth so früh wie 1851 beispielsweise angefangen hat, die Kategorie "Frau" aufzubrechen, um zu zeigen, dass es keine homogene Kategorie ist.

Und es war eben super wichtig, die Entwicklung dieser Debatte bei dem Übersetzen in den Blick zu nehmen; das ist etwas – ohne dir deine nächste Frage vorwegnehmen zu wollen – aber das ist genau das, was wir als feministisches Handeln verstehen: Und diese Debatte ist ja fortgeführt worden, nicht nur in Verbindung mit "Race", sondern auch in Verbindung mit "Class", mit sexueller Orientierung, mit Gender Identity und so weiter und so fort – die ist ja nicht stehengeblieben im Jahr 1850, die Debatte. Und die ist auch nicht bei einer Kimberlé Crenshaw in den späten 80ern stehengeblieben, sondern die wird ja immer weiter geführt.

Und es war eben super wichtig, die Entwicklung dieser Debatte bei dem Übersetzen in den Blick zu nehmen; das ist etwas – ohne dir deine nächste Frage vorwegnehmen zu wollen – aber das ist genau das, was wir als feministisches Handeln verstehen: Und das war uns wichtig zu inkludieren, also dies in den Übersetzungen und in der Transferleistung, die durch Übersetzungen entsteht, zu berücksichtigen.

JN: Ja, tatsächlich wäre meine nächste Frage nämlich auch in die Richtung gegangen – ich hab in einem Vortrag, den ich mir von dir angehört hab, hast du so relativ gesagt, dass du Übersetzen auch als feministische Praxis verstehst; und da dachte ich, weil mich persönlich es auch interessiert hat, wie genau du das verstehst, wollt ich dich das noch mal fragen – aber darauf bist du jetzt ja auch eingegangen und ich finde es natürlich auch schlüssig, dass natürlich Übersetzen nicht bedeutet Wort für Wort, sondern immer Kontexte mitdenkt und auch immer mitdenkt: Was war davor, was ist danach gewesen, was hat das oder jenes dann im Nachhinein auch noch ausgelöst?

NK: Ganz genau, und das haben wir halt versucht zu berücksichtigen in den Übersetzungen, aus einer Schwarzen feministischen Perspektive, ja. Warum ich finde, das Buch auch eine gewisse Aktualität hat beziehungsweise zeigt, wie aktuell diese Texte immer noch sind.

Weil die in die Debatte mit reingenommen werden, in einer deutschsprachigen Debatte jetzt vorliegen, eben möglich machen, dass wir nicht mehr exkludiert werden aus unseren eigenen Kontexten, ne, also das war so wirklich der Drive für mich zu sagen: "Dieses Low-Budget-Projekt", mal wieder (lacht) "müssen wir/ das Buch ist echt wichtig, ja."

JN: Genau, du hast recht, das ist auf jeden Fall wieder sehr aktuell – ich hab das Gefühl, diese Debatten führen wir immer wieder, wenn es darum geht, dass einem wieder auffällt, dass weiße Feministinnen sich gerne hier und da bedienen – so eine Debatte haben wir jetzt, aber werden wir auch mit Sicherheit noch mal haben und hatten wir ja auch, als du das Buch herausgegeben hast.

NK: Alle Jahre wieder, ne?

JN: Alle Jahre wieder. (lacht)

NK: (lacht)

JN: Genau, ich würd weiterhin bei deiner Arbeit bleiben beziehungsweise bei deinen Projekten – wo auffällt, dass es May Ayim und Milli sind, auf die du dich immer wieder beziehst, auf die du immer wieder zurückgreifst in deiner Arbeit. Über Milli hatten wir auch kurz gesprochen in Folge 2, als es um den Kolonialismus ging und vor allem um die Expressionisten.

JN: Und mich würde interessieren, warum es genau diese beiden Figuren sind, die anscheinend einen besonderen Stellenwert haben.

NK: Ich glaube, tatsächlich aus wirklich unterschiedlichen Gründen – beide Schwarze Frauen, und ich glaube, dass die größte Herausforderung für mich in meinem Leben war, eine Schwarze Frau zu sein; ist es immer noch. Also, es ist grade in einem deutschsprachigen Kontext, weil es eben wirklich wenige Vorbilder gibt, war das eine meiner größten Herausforderungen immer, mich als Schwarze Feministin zu definieren, zu identifizieren – aber nicht, indem ich nur sozusagen den weißen Feminismus umkehre und da "Schwarz" davorschreibe, sondern wirklich zu verstehen: Was bedeutet dieser intersektionale Feminismus und wie lebe ich ihn? Und wie kann ich ihn in einem deutschen Kontext/ wie kann er Bestand haben und wie hat er Bestand und wie hat er vor mir Bestand gehabt? – und ich glaube, aus dieser Perspektive sind diese beiden Figuren, wirklich aus unterschiedlichen – oder "Persona", sag ich jetzt mal – aus unterschiedlichen Gründen für mich sehr wichtig gewesen.

NK: May Ayim, glaub ich, lässt sich schnell erschließen natürlich auch in meiner eigenen Biografie – die hat mir Worte gegeben. Und sie hat mir/ und für eine Schwarze Deutsche, die selbst Deutsch lernen musste als junges Mädchen, war sie für mich über Sprache als Handeln, als Performance aus dieser Perspektive immer sehr wichtig gewesen.

NK: Deswegen ist ja dann auch die Performancereihe "My Sister" entstanden, was dann/ Empowerment-Theater für junge Schwarze Frauen entwickelt hat, auf der Grundlage von "Sisters and Souls", und wo das Sprechen über, das Benennen von und das Artikulieren etwas ist, was ich vielleicht durch May oder von May gelernt oder mich inspiriert fühlte, das zu machen.

NK: Also, ich glaube, das ist das, was sie für mich wichtig macht, aber auch, glaub ich auch, für viele andere wichtig macht.

NK: Bei Milli war das anders tatsächlich – bei Milli war das erst mal die historische Kontinuität, die in ihrer Persona steckt, also sie ist ja sozusagen unsere große Schwester, die im frühen 20. Jahrhundert irgendwie in Deutschland gelebt haben muss; also, ich hab noch nicht gefunden, rausgefunden, von wo sie kam. Aber was meine Recherchen ergeben haben, ist, dass sie längere Zeit in Deutschland gelebt haben muss. Ja? Sie war nicht nur zur Stippvisite da, sagen wir's mal/

Was sie auch in gewisser Weise zu einer Schwarzen Deutschen macht, zu einer der früheren Schwarzen deutschen Frauen macht – und ich finde, bei ihr kamen noch mal in einer anderen Form als bei May Fragen der Körperlichkeit hinzu, ja, also: Was/ – also, meine eigene persönliche Recherche begann tatsächlich, als Kommunikationswissenschaftlerin, über die Sprache. Rassismus und Sprache – was mich natürlich auch mit Mays Arbeit verbindet.

Was sie auch in gewisser Weise zu einer Schwarzen Deutschen macht, zu einer der früheren Schwarzen deutschen Frauen macht – und ich finde, bei ihr kamen noch mal in einer anderen Form als bei May Fragen der Körperlichkeit hinzu, ja, also: Und in der Untersuchung von Millis Persona kam die Frage von Schwarzen Körpern hinzu – weil sie wird ja im Expressionismus wirklich als Körper missbraucht, ja? Also, ihr nackter Körper ist ja in vielen Bildern einfach zu sehen gegeben – so. Auf ihren Körper sind verschiedene Diskurse eingeschrieben, und das ist etwas, was ich beispielsweise durch bell hooks gelernt habe, dass Schwarze Körper immer ein Diskursterrain sind, auf dem Geschichte und Geschichten eingeschrieben werden.

Was sie auch in gewisser Weise zu einer Schwarzen Deutschen macht, zu einer der früheren Schwarzen deutschen Frauen macht – und ich finde, bei ihr kamen noch mal in einer anderen Form als bei May Fragen der Körperlichkeit hinzu, ja, also: Und deswegen habe ich dann eben durch die Persona Milli die Debatte noch weitermachen können; dass es nicht nur um Performance geht, um Sprache, um Artikulation, sondern auch unsere Körper als Fläche der Erzählung zu nehmen, ne, also/ und es hat dann sozusagen diese Geschichte für mich, was mit May begann, noch mal erweitert, ja, also das ist definitiv ein Zusammenhang dieser beiden Persona für mich, mit unterschiedlichen Schwerpunkten – so würde ich das sagen.

JN: Genau, weil du die Frage "Was interessiert dich an May Ayim und Milli?" erst mal so beantwortet hast, dass du gesagt hast, dass/ du bist ja so von dir persönlich ausgegangen, hast gesagt: Na ja, eine Schwarze Frau sein, dass man damit ja manchmal schon Schwierigkeiten hat oder dass du damit Schwierigkeiten hast.

JN: Und tatsächlich bist du auch nicht die Erste, die das in dieser Reihe gesagt hat – ich hab ein Gespräch mit Josephine Apraku geführt, wo Josephine gesagt hat, dass sie selber nicht weiß, ob die Kategorie "Frau" eine ist, die sie für sich annehmen möchte; ob das überhaupt eine Kategorie ist, die für eine Schwarze weiblich gelesene Person funktioniert – deswegen, da hab ich kurz aufgehorcht, das fand ich ganz spannend, dass da irgendwie so sehr ähnliche Gedanken zu der Thematik sind, wenn's um weibliche Körperlichkeit vor allem geht.

JN: Sprache und//

NK: Darf ich dazu kurz was sagen? Weil ich glaub, das ist tatsächlich ein ganz wichtiger Punkt – weil wenn es um das Frausein in einem deutschen, oder ich würd's sogar noch weiter fassen, in einem europäischen Kontext geht, ist ja von einem weißen Mann definiert worden, was weiße Weiblichkeit ist, und gar nicht von weißen Frauen.

Und ich glaub, das ist das, was wir zur Zeit herausfordern, ne, also nämlich genau diese Vorstellung von: Was bedeutet Weiblichkeit? Was bedeutet die Kategorie "Frau"? – und wenn wir grade dabei sind, nicht nur das Patriarchat zu dekonstruieren, sondern auch strukturellen Rassismus und Kapitalismus, dann ist es tatsächlich naheliegend, dass auch die Kategorien, die sie geschaffen haben, mit-dekonstruiert werden.

Und ich glaub, das ist das, was wir zur Zeit herausfordern, ne, also nämlich genau diese Vorstellung von: Und ich glaub, das ist Teil des Prozesses. Und jetzt kann ich es artikulieren – und ich glaube, grade so in meiner Pubertät oder so, ich hab ja irgendwie gar nicht gewusst, was mit mir passiert. Ja? Also, dieses Frau-Werden, das gar nicht so eine Selbstverständlichkeit sein kann, für Schwarze Frauen, das ist jetzt das, womit ich mich zufrieden gebe.

Aber dann stellt sich die Frage: Was ist es dann? – und dann gilt es ja für uns, neu zu definieren: Was bedeutet das denn? – und ich glaube, in diesem Prozess, mit der Arbeit, die ich mache und vielleicht auch, was Josy macht, sind wir ja dabei, ne, das neu zu definieren, und zwar wirklich aus einer Schwarzen feministischen Perspektive.

JN: Genau, ja, den Eindruck hab ich auf jeden Fall auch. Ich würde gerne noch mal auf May Ayim zu sprechen kommen beziehungsweise deine Auseinandersetzung, deine Arbeit zu May Ayim – wenn ich mich nicht täusche, ist kürzlich das Buch "Soul Sisters 2 – Inspiration durch May Ayim" rausgekommen …?

NK: "Sisters and Souls" – es gibt ja zwei Folgen schon; "Sisters and Souls" – das erste kam zum 25. Todestag 2015, die zweite Edition 2021. Ja.

JN: Genau, ich hab das Buch noch nicht gelesen und würde dich deswegen ganz gerne fragen, wie die verschiedenen Autor*innen sich auf May Ayim beziehen? Es ist ja wieder ein Sammelband mit verschiedenen Texten, auch unterschiedliche Textgattungen …?

NK: Ich glaube, ich muss zurückgehen und tatsächlich mit dem ersten Teil anfangen; wie es überhaupt dazu kam, war nämlich, dass der Orlanda-Verlag mich gefragt hat, ob ich zum 20. Todestag von May Ayim etwas machen möchte – und für mich war das wichtig, jetzt nicht noch einen Band rauszugeben, sag ich jetzt mal, was die Texte von May Ayim analysiert – auch super wichtige Arbeit, aber die ist ja schon vielfach gemacht worden.

NK: Also, ich wollte jetzt nicht noch eine Biografie schreiben, sondern mir war wichtig aufzuzeigen, was in den zwanzig Jahren seit ihrem Tod passiert ist. Und deswegen sind Texte dort versammelt oder gesammelt, die zeigen, wie diese Autorinnen von ihr inspiriert wurden und was in den letzten/ in den ersten zwanzig Jahren nach ihrem Tod passiert ist.

NK: Und das sind auch/ unterschiedliche Frauen kommen dort zu Wort, einige, die May Ayim persönlich kannten, die auch in "Farbe bekennen" schon waren, Ika Hügel-Marshall, die leider nicht mehr unter uns ist, hat einen ganz wichtigen Beitrag geschrieben, Katharina Oguntoye hat das Vorwort geschrieben, Abenaa Adamako ist drin, die auch in "Farbe bekennen" drin war, und sozusagen diese Geschichte von "Farbe bekennen" weitertragen – und dann kommen so die jüngeren Generationen, die eben dann zeigen, welche großartigen Projekte und wie sie von May Ayim/ also, welche Projekte sie gemacht haben und wie sie dann von May Ayim inspiriert worden sind in ihrer eigenen Lyrik beispielsweise; es sind einige lyrische Texte drin, es wird aber auch von der ISD berichtet – damals war Jamie Schearer noch im Vorstand, sie hat einen Text beigetragen, um wirklich genau diese Kontinuitäten auch noch mal aufzuzeigen.

Und fünf Jahre später, also letztes Jahr, als dann Teil 2 kam, war das für mich wichtig, dieses Konzept aufrechtzuerhalten, aber die Jüngeren, also noch mal jüngere Generation zu Wort kommen zu lassen, also die sind dann noch mal fünf Jahre jünger, und es war total toll, weil die gesagt haben: "Ah, als vor fünf Jahren" – was ja im jungen Alter natürlich, sind fünf Jahre/ ist ja ein großer//

JN: Das stimmt.

NK: Fünf Jahre ist ein großer Sprung, ja? Und als "Sisters and Souls 1" herauskam, waren die fünfzehn und waren total inspiriert von "Sisters and Souls 1" und durften jetzt selber in "Sisters and Souls 2" fünf Jahre später schreiben, was noch mal diese/ generationsübergreifend einfach war. Und das war für mich wichtig, den jungen Stimmen eine Plattform zu geben, die Arbeit, die May Ayim begonnen hat, in gewisser Weise durch sie fortzuführen; auf diesem Weg May Ayim zu ehren, also für das, was sie uns hinterlassen hat.

NK: Ne, also das war so ein bisschen die Idee dieser Bücher, und einfach diesen/ und vielleicht gibt es irgendwann noch mal in fünf Jahren einen Teil 3 – ich würd's großartig finden, einfach diese Kontinuität.

Und was sich unterscheidet nämlich zwischen diesen beiden Büchern – und das fand ich nämlich auch total spannend – wenn man diese beiden gegenüberstellt, ist die jüngere Generation von 2021, das war/ geschrieben haben sie während des Sommers 2020, erschienen ist es 2021, das dauert ja immer; und du siehst, wie wütend sie sind. Ne, also das ist etwas, was sich wirklich durch die zweite Auflage zog im Vergleich zur ersten – in der ersten war/ sehr versöhnend, sehr/ es ist sehr harmo/ in dem zweiten haben die diese Haltung: "Es reicht. Wir haben die Schnauze voll. Hier ist jetzt Ende" – ne, und so, und die unterscheiden sich ja auch.

Und was sich unterscheidet nämlich zwischen diesen beiden Büchern – und das fand ich nämlich auch total spannend – wenn man diese beiden gegenüberstellt, ist die jüngere Generation von 2021, das war/ geschrieben haben sie während des Sommers 2020, erschienen ist es 2021, das dauert ja immer; und du siehst, wie wütend sie sind. Ne, also das ist etwas, was sich wirklich durch die zweite Auflage zog im Vergleich zur ersten – in der ersten war/ sehr versöhnend, sehr/ es ist sehr harmo/ in dem zweiten haben die diese Haltung: Und das, fand ich, war auch noch mal wirklich schön, einfach auch die Entwicklung, unsere Entwicklung, unsere politische Entwicklung, unsere künstlerische Entwicklung auch aufzugreifen, weil die zweite Ausgabe, da sind auch die Poetinnen wortstark, also die sind richtig bamm, bamm, bamm, bamm, ne, also wo wir uns in der ersten auch so vorsichtig an Worte herantasten – die in der zweiten Ausgabe, die sind klar, die sind kreativer, die sind pfiffiger, es hat sich ein Genre entwickelt, und das war mir wichtig zu zeigen, dass wir eine Kontinuität haben, die wir nicht aufs Neue wieder suchen müssen, jede Generation wieder auf die Spuren gehen müssen – sondern dass wir da anschließen, wo die Generation vorher aufgehört hat; und das weitertragen einfach, ja, also das war mir wichtig, dass wir//

JN: Es ist auch einfach super wichtige Arbeit, dieses: Nicht jedes Mal noch mal auf Null anfangen, Leute auch zusammenbringen – ich find auch wichtig die Information, dass quasi im Sommer 2020 geschrieben wurde; ich glaub, das ist ein Sommer, der vielen noch eine ganze Weile in Erinnerung bleiben wird, das war ein sehr emotionaler Sommer.

Und damit ist das ja gewissermaßen auch so ein Zeitzeugnis; es ist ein Zeitzeugnis und es ist halt auch so eine Sache von: Sich in Geschichte mit einschreiben – grade wenn du sagst, es sind tatsächlich Personen gewesen, die die erste Auflage gelesen haben, da waren sie so Teenys oder Ende Teeny, und dann in der nächsten Ausgabe selber schon mit dabeisein zu können, das ist ja, ja, das ist doch ein Gefühl von: Ich schreibe mich grade in Geschichte ein, ich wähle die Worte, mit denen ich mich quasi in diesem Buch gewissermaßen auch ein bisschen verewigen kann.

Und damit ist das ja gewissermaßen auch so ein Zeitzeugnis; es ist ein Zeitzeugnis und es ist halt auch so eine Sache von: Natasha, wir sind damit auch schon ans Ende unseres Gesprächs gekommen, leider – ich weiß, es geht immer ein bisschen/ es geht am Ende dann doch immer schneller als man denkt.

Und damit ist das ja gewissermaßen auch so ein Zeitzeugnis; es ist ein Zeitzeugnis und es ist halt auch so eine Sache von: Ich finde, es war ein, ja, sehr, sehr spannendes Gespräch, sehr spannend, von dir und deiner Arbeit zu hören – und meiner Meinung nach ist das auch der perfekte Abschluss dieser Reihe, weil ich hab's ja gesagt, historisch beziehungsweise thematisch betrachtet haben wir ja in den 1880er Jahren gestartet und uns dann vorgearbeitet bis in die 1980er und '90er Jahre – aber ich finde, das Gespräch mit dir hat auf jeden Fall noch mal sehr, sehr deutlich gemacht, dass es weitergeht und dass die Dinge mit Sicherheit noch lange nicht beendet sind, es noch einiges zu tun gibt auf jeden Fall und auch getan wird.

Und damit ist das ja gewissermaßen auch so ein Zeitzeugnis; es ist ein Zeitzeugnis und es ist halt auch so eine Sache von: Deswegen an der Stelle noch einmal der Hinweis, sich die digitale Ausstellung anzuschauen – ich bedanke mich, also Danke an alle, die zugehört haben; wir freuen uns auch über Feedback – wie haben euch die verschiedenen Folgen gefallen, wie denkt ihr über die Website? – würde mich interessieren.

Und damit ist das ja gewissermaßen auch so ein Zeitzeugnis; es ist ein Zeitzeugnis und es ist halt auch so eine Sache von: Und natürlich danke dir, Natasha, für dieses tolle Gespräch.

NK: Ich kann mich auch nur bedanken. Vielen Dank. Ich freue mich, dass ich Teil dieser Ausstellung sein darf, und vielen, vielen herzlichen Dank für die Einladung.

JN: Okay. Dann, ja, so können wir's stehenlassen. Bis dann, tschau.

NK: Tschüss.

JN: Das war Telling Our Stories. Erzählte Geschichte.

JN: Ein digitales Ausstellungsprojekt der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland.

Konzept: Jeanne Nzakizabandi

Webdesign: Studio Abo

Produktion: Géneviève Lassey

Recherche: Merle Kondua

Recherche: Gefördert von der Stiftung Erinnerung Verantwortung und Zunkunft

Im Rahmen von: Wie wir erinnern. Plurale Erzählungen, kollektive Geschichten,

Im Rahmen von: gemeinsame Wege.

Im Rahmen von: Mehr Infos findet ihr unter www.tellingourstories.de

Im Rahmen von: (Musik-Outro)

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